Gott ist ein Arschloch

Leseprobe aus Christian Kalwas Buch Gott ist ein Arschloch – Intelligent Design. Eine Polemik.

Gott ist ein Arschloch

Aber apropos Auge.

Das Auge wird von Vertretern des Intelligent Designs stets gerne als Beispiel bemüht für ein Organ, das ganz offensichtlich gestaltet wurde. So viele aufeinander abgestimmte Einzelkomponenten, die voneinander abhängig sind und nicht eine ohne die andere, aber auch nicht gemeinsam entstanden sein könnten. Die Evolution kann die Entstehung der Augen nicht erklären! heißt es dann. Das Auge ist perfekt, die Menschen bekommen ein hervorragendes Bild der Welt, es hat Klappen, die es schützen und eine Drüse, die es befeuchtet und was hat sich wohl zuerst entwickelt? Das Auge, das auf die Flüssigkeit angewiesen ist, um zu funktionieren, oder die Drüse, die ohne das Auge keinen Zweck hat?

Das alles sind überzeugende Argumente und gute Fragen. Jedenfalls dann, wenn man noch nie einen Blick in ein Biologiebuch geworfen hat. Dort ist die Evolution des Auges hervorragend dokumentiert, von einfachen lichtsensorischen Zellen über das Lochauge und diversen anderen Zwischenstufen bis zum menschlichen Auge und darüber hinaus. Schlimmer noch: Anders als bei manchen anderen Fällen sogenannter nichtreduzierbarer Komplexität sind ausgerechnet beim Auge heute noch viele dieser Zwischenformen am Leben, können in der Natur direkt beobachtet werden und sind ausgiebig erforscht und beschrieben.

Linsen und Drüsen entwickeln sich parallel, ebenso wie die verarbeitenden Hirnareale. Man muss sogar zugestehen, dass ein Bild von der Umwelt gar nicht der eigentliche Zweck der Augen ist, sondern, wie so oft in der Evolution, nur ein mehr oder weniger missglückter Nebeneffekt. Und es ist für den geneigten Kreationisten nicht einmal notwendig, sich durch die komplizierten Facharbeiten zu quälen, um dies herauszufinden – es gibt spätestens seit Hoimar von Ditfurth hervorragend geschriebene populärwissenschaftliche Veröffentlichungen zu diesem Thema.

Und so stellen sich aus evolutionärer Sicht auch nicht die Fragen nach dem Design des Auges. Diese Fragen stellen sich tatsächlich eher andersherum: Wenn das Auge das Ergebnis einer Gestaltung ist – warum ist es dann so grottenschlecht? Mit Blick auf die Evolution – Sie wissen schon: Das, was in der wirklichen Welt passiert und nicht in der Gehirnblase bloggender Pseudokritiker, die glauben, dass es ausreiche, am Computer zu sitzen und sich Fragen auszudenken, die von „der Wissenschaft“ niemals beantwortet werden könnten – ohne ein Buch zu lesen, das diese Fragen vor 30 Jahren beantwortet hat – mit Blick also auf diese Realität, die Entwicklung des Auges, sind diese Konstruktionsmängel nachvollziehbar und sogar zu erwarten. Schaut man aber mit Blick eines Designers auf dieses Auge, also jemanden, der das Organ intelligent von Grund auf gestalten konnte, dann fragt man sich doch, ob er dabei vielleicht einfach besoffen war.

Jedenfalls hat er sich hier gehörig verschöpft. Wenn unser Auge Absicht war, dann ist es eine Frechheit. Bei dieser konsequenten, durchgängigen Fehlkonstruktion des Auges kann man es auch nicht mehr zudrücken.

In einem evolutionskritischen Internetblog war zu lesen, es sei höchst erstaunlich, dass unsere Sonne ausgerechnet genau in dem elektromagnetischen Spektrum am intensivsten strahlt, das wir, die Menschen, als sichtbares Licht aufnehmen. Woher soll die Sonne wissen, welche Wellenlängen das menschliche Auge sieht? Wem diese Fragestellung nicht a priori absurd vorkommt, wer bei diesem Gedankenquark nicht – äh – augenblicklich in hysterisches Gelächter ausbricht und sich tatsächlich fragt, was denn wohl die Antwort sein könnte, dem sei hier die Lösung auch nicht verraten. Allerdings darf darauf hingewiesen werden, dass uns Gott offenkundig recht blind erschaffen hat.

Untersucht man tatsächlich das Spektrum in der Natur vorkommender elektromagnetischer Wellen, so stellt man schnell fest, dass der Ausschnitt, der für uns sichtbar ist, mit gering sehr wohlwollend umschrieben ist. Wir sehen fast nichts. Andere Lebewesen auf unserem Planeten sind hier besser ausgestattet, aber der Herr schien es nicht für nötig zu halten, den Menschen mit einem wirklich angemessenen Sehorgan zu gestalten. Und dabei sind es ausgerechnet genau die Wellenlängen, die für uns absurd gefährlich sind, die wir nicht sehen: Röntgenstrahlen, Gammastrahlen, Mikrowellen – Himmel, wir haben nicht einmal einen Sinn für Ultraviolett.

Im Vergleich zu dem, was möglich oder auch nur sinnvoll gewesen wäre, ist das Auge eine glatte Fehlkonstruktion. Und das nicht nur im Ergebnis – dem, was wir sehen können – sondern auch in der Konstruktion selbst: Es ist im höchsten Maße erstaunlich, dass wir mit diesen Augen überhaupt etwas sehen können. Die Netzhaut bei uns Menschen ist denkbar idiotisch aufgebaut.

Die lichtempfindlichen Zellen sind, so absurd es klingen mag, unter dem Sehnerv angebracht, zeigen also im Grunde zum Gehirn hin. Und gerade dort hat sich der Mensch in seiner Geschichte nun wirklich nicht als besonders helle erwiesen. Die Nervenbahnen selbst liegen außerhalb, also genau in jene Richtung, aus der das Licht und somit das zu sehende Bild überhaupt erst kommt. Ein großer Teil dieses Lichtes wird von diesen Nervenbahnen abgelenkt, geschluckt und blockiert. Außerdem müssen diese Nervenbahnen aus dem Inneren des Auges irgendwo zum Gehirn durchstoßen – und an dieser Stelle, der Papille, sind dann endgültig gar keine lichtempfindlichen Zellen mehr vorhanden. Mitten im Bild entsteht ein großer, schwarzer Fleck, den das Gehirn erst umständlich verarbeiten und aus unserem Bewusstsein entfernen muss, indem es an diese Stellen ein wahrscheinliches Bild aus den Bildbereichen drum herum konstruiert.

Würde Canon seine Fotoapparate derart mies gestalten, würde ich keinen Spaß mehr am Fotografieren haben oder am Ende sogar, noch schlimmer, Nikon benutzen. Der gesamte innere Aufbau des Auges ist auf absurde Weise auf den Kopf gestellt, verdreht und verschlungen, dass man sich wundern kann, dass wir überhaupt noch etwas sehen. Und man soll nicht den Fehler machen zu denken, dass wir, die Menschen, trotz des ganzen Übels in unseren Sehorganen ja schließlich dennoch ein vernünftiges Bild bekommen.

Wir bekommen es nicht. Das, was wir „sehen“ nennen, wäre für jeden Adler eine Lachnummer. Unser Bild von der Welt wird an so vielen Stellen konstruiert, interpoliert und interpretiert, dass man von einem objektiven Abbild der Wirklichkeit nicht mehr auch nur annähernd reden kann. Manchmal – selten – ist es möglich, durch optische Täuschungen uns diese Interpretationen ins Bewusstsein zu rufen. Wobei man nicht den Fehler machen darf zu denken, optische Täuschungen wären besondere Ausnahmen einer ansonsten guten Sicht. Tatsächlich machen solche Bilder die Fehler, die wir immer und überall beim Blick in die Welt machen, lediglich sichtbar. Bei allen anderen Gelegenheiten merken wir es nicht einmal. Das, was wir alles nicht sehen können, füllt ganze Kinosäle, und noch viel schlimmer ist all jenes, was wir aus den Konstruktionen heraus nur zu sehen glauben. Manchmal, selten, kann man die Konstruktionsversuche seines Gehirns sogar direkt beobachten, etwa, wenn man in der Ferne etwas zu sehen glaubt und beim Näherkommen feststellt, dass man sich geirrt hat.

Hatte die Frau, die man eben am Ende der Straße gesehen hat, gerade noch ein Kopftuch auf, so erkennt man beim Näherkommen plötzlich und unerwartet eine besondere Frisur. Das Bild im Kopf „springt“ mitunter sogar ein paar mal hin und her, bevor man weiß, was man erkennt. Dieses Erkennen ist also Interpretation, denn auch wenn man jetzt „weiß“, was man sieht, so konnte man eben noch etwas gänzlich Anderes sehen – mitunter sogar mit bestimmten Details.

Bei dem 2016 viral gegangenen Bild der „wet legs“ ist dies besonders deutlich. Man „sieht“ deutlich und genau, dass die Beine nass und glänzend sind, so als wären sie mit einer dicken Schicht Creme eingerieben oder mit Butter beschmiert. Erst wenn man die Information bekommen hat, was mit diesen Beinen wirklich los ist, erkennt man den Fehler – und ist dann, so sehr man sich auch bemüht, nicht mehr in der Lage, das Glänzen der Beine erneut herbeizurufen. Das Wissen um das, was wir sehen, beeinflusst unser Sehen – nicht andersherum.

Was hat sich Gott eigentlich dabei gedacht, seiner erstklassigen Krone hier ein so drittklassiges Organ aufzubürden? Sollten Sie jemals von den sprichwörtlich blinden Fledermäusen gehört haben und glauben, diese Tiere könnten nicht oder nur schlecht sehen, weil sie durch Ultraschall in der Nacht navigieren, dann liegen sie falsch: Tatsächlich können sogar Fledermäuse besser sehen als wir Menschen. Jedenfalls viele Arten.

Es ist ja schließlich nicht so, dass unser Auge einfach nur mies konstruiert wäre – es geht ja noch dazu auch alle Augenblicke kaputt. Fast die halbe Menschheit benötigt eine Brille, ein guter Teil kann manch eine Farbe nicht von einer anderen unterscheiden, und wer an einem grauen oder grünen Star leidet, sieht am Ende gar nichts mehr. Das Auge ist, bedenkt man seine Wichtigkeit für den Menschen, auch wirklich nur schlecht geschützt. Ein paar dünne Augenlider, buschige Augenbrauen gegen Regentropfen – fertig. Wir sind empfindlich gegen Staub, gegen Flüssigkeit, gegen vielerlei chemischer Substanzen und gegen alles, was spitze oder scharfe Ecken hat, bei einem nur etwas falschen Winkel führt ein Eindringen ins Auge zu sofortiger schmerzhafter Erblindung.

Immerhin hat Gott zumindest einen gewissen Humor bewiesen, als er das Schielen erfunden hat. Zusammen mit einer Hasenscharte können hier wirklich abgrundtief absurd aussehende Menschen entstehen.