Brahmavihara
i

Exkurs:
Brahmavihara

In meinen Ausführungen zur Sinn-Frage nannte ich die Brahmavihara als mögliche Orientierung hinsichtlich sozialen Engagements. Die Bedeutung dieses Begriffs dürfte vielen Lesern genauso schleierhaft sein, wie der Satz in Sanskrit oben. Der Satz ist durch Klick auf selbigen zu klären, der Begriff, wie ich hoffe, im Folgenden.

Brahmavihara ist ein buddhistischer Begriff und beschreibt vier Geisteshaltungen, die anderen Wesen gegenüber einzunehmen sind. Diese Haltungen sind:

Diese Begriffe scheinen sich zum Teil zu widersprechen – wie Freude und Leid oder Liebe und Gelassenheit. Gleichwohl werden diese vier zu einer Einheit, nämlich Brahmavihara zusammengefasst. Ich möchte deutlich machen, dass das zu Recht geschieht. Daraus wird sich ergeben, warum diese Zusammenfassung Orientierung im sozialen Miteinander geben kann.

Um das zu erreichen, werde ich zu jedem dieser vier Begriffe die Gegenteile nennen. Das scheint trivial – ist es auch, was die offensichtlichen Gegenteile betrifft. Jeder Begriff hat aber noch ein nicht-offensichtliches Gegenteil. Letzteres ist gefährlich, weil oft mit dem Begriff selbst verwechselt. Mir ist klar: Das klingt kompliziert. Ich verspreche aber: Es wird deutlich, wenn ich das jetzt mache.

Liebe

Das offensichtliche Gegenteil von Liebe ist Hass. Klar. Das nicht-offensichtliche ist besitzergreifende Liebe, oder anhaftende Liebe, wie in buddhistischen Texten oft zu lesen ist. Wegen der Verwechslungsgefahr wird dieser erste Punkt der Brahmavihara oft liebende Güte genannt. Diese Form der Liebe ist eine freundschaftliche, nicht Gier behaftete und wird deswegen nie in Hass umschlagen.

Liebe im Sinne der Brahmavihara steht somit keineswegs im Widerspruch zur Gelassenheit. Im Gegenteil.

Mitleid

Hier ist das offensichtliche Gegenteil Schadenfreude. Der problematische Gegensatz ist weinerliche Apathie. Mitleid ist immer als Ansporn zur aktiven Aufhebung des Leids zu verstehen.

Mitfreude

Offensichtlich ist Neid ein Gegensatz. Weniger selbstverständlich ist der haltlose Glückstaumel, das Berauschtsein echter Freude entgegengesetzt. Freude ist – wie alles – endlich. Wer das nicht sieht, endet im Trübsal.

Gelassenheit

Neben der Aufgeregtheit als offensichtlicher Gegensatz ist Indifferenz, Wurschtigkeit zu sehen. Der wirklich Gelassene ignoriert Leid und Wohl nicht, sondern wertet sie unaufgeregt, um angemessen reagieren zu können.

Fazit

Brahmavihara ist ein tiefgründiges Konzept, nicht unmittelbar einsichtig und schon gar nicht leicht zu verinnerlichen. Vielmehr ist diese vierfach-einfache Haltung eine anspruchsvolle Meditationsübung.

Meditation

Der Buddha erklärt:

Vier Unermesslichkeiten: Da strahlt, ihr Brüder, ein Mönch liebevollen Gemütes weilend nach einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann nach der vierten, ebenso nach oben und nach unten: überall in allem sich wiedererkennend durchstrahlt er die ganze Welt mit liebevollem Gemüte, mit weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem. Erbarmenden Gemütes, freudevollen Gemütes, unbewegten Gemütes weilend strahlt er nach einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann nach der vierten, ebenso nach oben und nach unten: überall in allem sich wiedererkennend durchstrahlt er die ganze Welt mit erbarmendem Gemüte, mit freudevollem Gemüte, mit unbewegtem Gemüte, mit weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem.