Sinn an sich

Exkurs:
Die Sinnfrage

Sinn an sich

Verwandt mit der Problematik Ding an sich scheint mir die Frage nach dem Sinn des Lebens zu sein. Wenn es nicht möglich ist, ein Ding an sich zu erkennen, dann kann man auch nicht dessen absoluten Sinn erfassen.

Sinn ist wie auch die Auffassung von Dingen eine Frage der Optik, der Perspektive. Wählen wir eine extreme, das ganze Universum umfassende. Das von uns aus sichtbare Universum besteht aus etwa 100 Milliarden Galaxien, wie unsere Milchstraße eine ist. Jede hat 100 Milliarden Sterne wie unsere Sonne. Das sind zehn Trilliarden Sterne (eine 1 mit 23 Nullen), teilweise mit mehreren Planeten. Auf unserem Planeten leben derzeit knapp 8 Milliarden Menschen; insgesamt haben hier 100 Milliarden gelebt (eine 1 mit 11 Nullen). Was zeitliche Dimensionen angeht: Das Universum ist knapp 14 Milliarden Jahre alt, der erste Mensch erschien vor 2 Millionen Jahren. Die Lebenserwartung des Menschen beträgt etwa 80 Jahre.

Der Gedanke, dass mein kurzes Leben in diesen räumlichen und zeitlichen Dimensionen eine nennenswerte Bedeutung hat, ist völlig absurd.

Der geneigte Leser mag sich fragen: Was soll's?. Ich möchte hiermit dem Wahn vorbeugen, anzunehmen, ein ausgedachtes Wesen gebe Sinn, ein Wesen, wohlgemerkt, das diese unbegreiflichen Dimensionen nicht nur überblicke, sondern diese auch geschaffen habe.

Sinn im universellen Maßstab, Sinn an sich, darauf will ich hinaus, gibt es nicht. Es kann also nur Sinn für mich geben. Sinn existiert nicht von sich aus und kann auch nicht gegeben werden. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Ding an sich, dessen Existenz durchaus anzunehmen ist.

Ist unsere Existenz also sinnlos?

Die Feststellung, dass es keinen Sinn an sich gibt, ist keineswegs ein Indiz für absolute Sinnlosigkeit. Die Option, Sinnlosigkeit zu akzeptieren, die Suche also ersatzlos aufzugeben, ist pathologisch, klares Kriterium für eine Depression. Nicht Thema dieser Betrachtung.

Aus der Unmöglichkeit, gegebenen Sinn zu finden, ergibt sich die Notwendigkeit, Sinn zu schaffen, und zwar Sinn für sich. Das allerdings ist primär Aufgabe eines jeden einzelnen. Was der eine für sinnvoll hält, mag aus der Perspektive eines anderen als sinnlos erscheinen. Mangels eines absoluten Fixpunktes gibt es keinen verbindlichen Maßstab.

Sinn schaffen

Es gibt also keine absoluten Kriterien, keinen Sinn an sich. Eine Sinnfindung ist nicht möglich, Sinn muss geschaffen werden. Das ist eine höchst individuelle Angelegenheit. Trotz alledem will ich nicht kneifen und meine persönlichen Überlegungen dokumentieren. Dabei werde ich mich auf ein Konzept der angewandten Glücksforschung beziehen. In die unüberschaubare Reihe teilweise höchst obskurer Ratgeberliteratur aber möchte ich mich bewusst nicht stellen.

Es mag sich die Frage stellen: Wieso Glück, wenn es doch um Sinn geht? Es ist schwierig, das denjenigen zu erklären, denen das nicht unmittelbar einleuchtet.

Nun zu diesem Konzept der Glücksforschung: Es besagt, dass zum glücklichen und damit sinnvollen Leben drei Komponenten notwendige Bedingungen erfüllt sein müssen:

  1. Hedonismus
  2. Selbstverwirklichung
  3. soziales Engagement

1. Hedonismus

Hedonismus, das Streben nach Freude, Lust, steht bewusst an erster Stelle. Ich meine mit diesem Begriff, positive Empfindungen zuzulassen, mehr noch: sie aktiv anzustreben. Es gilt, zwei Fehleinschätzungen vorzubeugen:

Erstens mag das trivial erscheinen. Dem ist keineswegs so. Gerade die christliche Religion tendiert zum Gegenteil, sei es in Form von masochistischem Selbsthass, sei es durch sadistische Perversionen. Eine Expertin auf letzterem Gebiet war die heilige Mutter Teresa. Weit übertroffen wird diese Dame freilich von ihrem Chef.

Zweitens wird Hedonismus außerhalb des philosophischen Diskurses als eine nur an momentanen Genüssen orientierte egoistische Lebenseinstellung missverstanden. Dem ist keineswegs so. Epikur soll diesbezüglich mein Kronzeuge sein. Er gilt als typischer Hedonist. Das ist sachlich richtig, nicht aber im Sinne des obigen Missverständnisses. Sein Hedonismus wird in folgendem Zitat deutlich:

Schicke mir ein Stück Käse, damit ich einmal gut essen kann.

Über dem Eingang zu seinem Garten soll ein Schild mit dieser Inschrift angebracht gewesen sein:

Tritt ein, Fremder! Ein freundlicher Gastgeber wartet dir auf mit Brot und mit Wasser im Überfluss, denn hier werden deine Begierden nicht gereizt, sondern gestillt.

2. Selbstverwirklichung

Selbstverwirklichung ist wie auch Hedonismus ein Begriff, der den Verdacht des hemmungslosen Egoismus aufkommen lässt. Auch hier ist das nicht gemeint, sondern eine freie Entfaltung der eigenen Möglichkeiten. Das wiederum soll idealerweise im Sinne der dritten Komponente geschehen:

3. soziales Engagement

Der Mensch ist ein Herdentier, ein soziales Wesen. Ohne soziale Beziehung an seine Familie, seinen Clan, sein Volk, die Menschheit, alle Lebewesen, die Natur insgesamt wird er nicht glücklich, wird er sein Leben nicht als sinnvoll empfinden können. Diese Aufzählung ist in ihrer Reihenfolge wertend gemeint. Es widersinnig, sich als großer Nationalist oder Naturfreund zu proklamieren, mit der Familie aber nicht klarzukommen. Die Notwendigkeit des Engagements ist hierarchisch nach Nähe gegliedert.

Am wichtigsten ist die eigene Person (im Sinne der oben genannten Kriterien 1. und 2.). Dann kommt die Familie, der Clan … Unwichtig und damit zu vernachlässigen ist keines der Glieder.

Die Orientierung für dieses Engagement gibt eine angemessene Ethik. Angemessen bedeutet hier reflektiert, immer wieder neu ausgerichtet. Eine starre Moral, wie von Religionen diktiert, kann das nicht leisten.

Eine weitere taugliche Orientierung scheinen mir die Brahmavihara zu sein. Brahmavihara ist ein buddhistischer Begriff. Das mag hier irritieren, da dieses Opus eher nicht im Verdacht steht, pro-religiös zu sein. Ich werde darauf in einem eigenen Exkurs eingehen.

Klarstellung

Der Polarstern existiert (Alpha Ursae Minoris). Das bedeutet nicht, dass wir ihn erreichen können. Immerhin ist er gut 400 Lichtjahre entfernt. Trotzdem kann er uns zur Orientierung dienen.

Ähnlich ist es mit den Vorschlägen zur Sinnerfüllung des Lebens. Sie sollen eine mögliche Richtung aufzeigen. Um das konsequent und ausnahmslos umzusetzen, müsste man ein Heiliger sein.

Eins ist sicher: Der Autor ist hiervon weit entfernt.

THS – eine alternative Antwort

Wie ich oben schon anmerkte, sind die Antworten auf die Sinnfrage individuell und damit sehr unterschiedlich. Eine mich sehr verstörende ergibt sich aus THS, der Tiefen Hirn-Stimulation. Ich habe diesem Thema einen weiteren Exkurs gewidmet.