Islam-Leserbrief

Eine junge türkische Patientin schrieb mir als Antwort auf meine Gedanken zum Islam einen Brief, den ich hier aus Gründen der Diskretion nicht veröffentliche – wohl aber meine Antwort darauf:

Allah

Sehr geehrte Frau …,

ich möchte nunmehr, wie angekündigt, näher auf Ihre Mail vom 3. Januar 2010 eingehen.

Sie sind der Meinung, dass ein Missverständnis vorliege und bekunden Ihre Trauer darüber, dass ich kritische Anmerkungen zum Islam mache.

Zunächst einmal ist offensichtlich, dass ich kein Muslim bin. Das bedeutet, dass für mich Allah, Gott oder sonstige entsprechende Wesen eine andere Bedeutung haben als für Sie. Das bedeutet weiter, dass Herr Mohammed ibn 'Abd Allah ibn 'Abd al-Muttalib ibn Haschim ibn 'Abd Manaf al-Quraschi kein über allen Irrtum erhabenes Wesen ist (dass er Irrtümern unterlag, ist ja auch unter Muslims unstrittig – vgl. Satanische Verse). Er ist für mich auch kein Prophet, sondern schlicht ein Mensch, der mithilfe religiöser Argumentation und Agitation äußerst erfolgreich in seinem Sinne war.

Bitte verstehen Sie mich richtig: Ich habe nicht die Absicht, Herrn M. zu verunglimpfen. Ich stelle lediglich meinen Standpunkt dar. Ich habe auch keinesfalls vor, Ihre oder sonst jemandes religiösen Gefühle zu verletzen, wenn ich Herrn M. und dessen Anhänger kritisiere. Ich bestehe aber auf meinem Recht, meine Meinung frei zu äußern.

Ich habe wiederholt erlebt, dass Muslims eine freie Meinungsäußerung im Sinne der kritischen Auseinandersetzung mit dem Islam zu unterbinden versuchen, indem sie behaupten, diese Kritik sei beleidigend, die Religionsfreiheit unterdrückend, faschistisch oder was auch immer. Ich hoffe, sehr geehrte Frau …, dass Sie sich nicht auf eine derartig schwache Position begeben.

Nun zu Ihren Ausführungen im Einzelnen:

Sie behaupten, dass ich eine falsche Übersetzung von 2.191 zitiert hätte. Das stimmt nicht. In dem zitierte Vers kommt der Einschub im Krieg nach erschlagt sie nicht vor. Richtig ist, dass im weiteren Zusammenhang vom Krieg die Rede ist. Das allerdings habe ich ausdrücklich vermerkt. Zitat: Es ist eine schwache Rechtfertigung, wenn darauf hingewiesen wird, dass sich diese Textpassagen auf Krieg beziehen. Das macht sie nicht menschlicher.

Sie unterstellen weiter, dass ich das Leben des Herrn M. nicht kenne, da ich sonst seine Friedfertigkeit bemerkt hätte. Nun – wir kennen beide diesen Herrn nicht persönlich, sind also auf Überlieferungen angewiesen, zum Beispiel auf das kitab almaghazi. Diese überliefern keineswegs das Bild eines besonders friedfertigen Menschen, sondern eines machtbewussten Feldherrn, der seine Ziele durchaus auch mit massiver Gewalt durchsetzt. Beispielhaft sei hingewiesen auf den Massenmord an den Banu Quraiza im Massaker von 627.

Sie schreiben, dass es legitim sei, sich zu wehren, wenn man angegriffen wird. Das stimmt selbstverständlich. Welcher Angriff aber welche Art der Gegenwehr rechtfertigt, ist durchaus diskussionswürdig.

Ist es beispielsweise gerechtfertigt, wenn Herr Mahmud Ahmadinedschad verkündet, dass Israel von der Landkarte gefegt werden muss, weil die Existenz dieses Staates Ungerechtigkeit und per se eine ständige Bedrohung sei?

Ist es gerechtfertigt, den Schriftsteller Salman Rushdie mit dem Tod zu bedrohen, weil er sich nicht im Sinne des Herrn Khomeini geäußert hat?

Auch ich äußere mich nicht im Sinne dieses Herrn und anderer muslimischer Geistlicher. Ist es also auch gerechtfertigt, mich mit einer Fatwa zu belegen, die zu meiner Ermordung aufruft?

Sie geben schließlich Ihrer Hoffnung Ausdruck, dass ich noch mehr über den Islam lerne. Das hoffe ich auch. Seien Sie vergewissert: Ich bemühe mich sehr darum.

Nicht richtig ist allerdings, dass ich besonders wenig über diese Religion weiß. Meine Kenntnisse sind, wie ich in der mir eigenen Bescheidenheit anmerken möchte, überdurchschnittlich, was Ungläubige angeht. Ich weiß auch mehr als manch ein Muslim.

Meine Auseinandersetzung mit dem Islam ist allerdings ergebnisoffen. Ich erforsche ihn, um ihn und Muslime in ihren verschiedenen Schattierungen zu begreifen. Ob das dann in einer gesteigerten Wertschätzung mündet, wird sich zeigen.

Mit freundlichen Grüßen

Wie fast zu erwarten, hat sich die junge Frau nie wieder bei mir gemeldet – geschweige denn, zu meinen Argumenten Stellung bezogen.