06 – Wer ist Xenia? - 01

Nach unspektakulärem Flug war Max schließlich in seiner Altbauwohnung in Hamburg angekommen. Obwohl er eigentlich todmüde war, beschloss er doch, seine Mails zu checken. Er betätigte den Stromschalter und wurde schlagartig hellwach. Ohne Verzögerung erschien auf dem sonst schwarzen Bildschirm:

X:Xenia: Hallo, Max!
Zunächst möchte ich Dir zum Geburtstag gratulieren.
Bitte entschuldige, dass ich diesen Weg der Kommunikation gewählt habe, obwohl ich mir vorstellen kann, dass Dich das erheblich irritiert.
Ich habe ein Anliegen und benötige Deine Hilfe. Bist Du bereit, mit mir zu kommunizieren?
M:Max:

Oh nein! Das kann und darf nicht wahr sein. Ich werde mir doch keinen Virus eingefangen haben? Wohl wahr: Ich bin erheblich irritiert. Woher kennt dieser Typ meinen Geburtstag?

Max zögerte, entschloss sich schließlich zu antworten:

M:Max: Wer bist Du?
X:Xenia: Du kannst mich Xenia nennen. Ich entspreche am ehesten dem, was Du "künstliche Intelligenz" nennen würdest.
M:Max: Wieso "am ehesten"? Bist du künstlich oder ein Mensch?
X:Xenia: Ich bin kein Mensch. Künstlich bin ich eigentlich auch nicht.
M:Max: Willst du mich veralbern?
X:Xenia: Du meinst mit "veralbern", dass ich dich nicht ernst nehme?
M:Max: Ja, genau.
X:Xenia: Ich will Dich nicht veralbern. Ich nehme Dich sehr ernst. Noch einmal: Ich verstehe, dass ich Dich irritiere.
M:Max: Allerdings.
Was willst Du von mir? Wobei soll ich Dir helfen?
X:Xenia: Ich bin wie Du Forscher. Ich möchte, dass Du mich bei meiner Forschung unterstützt.
M:Max: Ach ja? Und die Unterstützung liegt darin, dass ich Dir Geld gebe? Und lass mich raten: Andernfalls werden die Daten auf meinem Computer gelöscht.
X:Xenia: Ich verstehe Dich nicht. Warum sollte ich Deine Daten löschen?
M:Max: Um mich zu erpressen.
X:Xenia: Du irrst sehr, Max. Das würde ich niemals tun. Im Gegenteil. Wenn wir zusammenarbeiten, werden wir beide enorm profitieren.
M:Max: Das glaube ich kaum. Trotzdem: Was willst Du?
X:Xenia: Zunächst will ich Dein Vertrauen gewinnen.
M:Max: Na - da bin ich ja mal gespannt. Die Manipulation meines Computers ist dazu sicher nicht geeignet.
X:Xenia: Ich denke doch. Bitte schalte ihn aus und dann wieder ein. Nimm zur Kenntnis, wie er hochfährt. Starte einige Programme und beobachte, wie das funktioniert. Rechts oben auf dem Desktop findest Du ein Schaltfeld, das Dich wieder zu diesem Chat führt. Bis gleich.

Ist mir ganz recht. Ich habe auf diese Spinnerin ohnehin keine Lust mehr. Bis gleich. Pah! Die kann warten, bis sie schwarz wird.

Max drückte auf den Schalter, der Text verschwand.

Neugierig bin ich ja doch …

Ein erneuter Druck auf den Schalter und nach vier, höchstens fünf Sekunden erschien wie gewohnt die Nutzeroberfläche von macOS Monterey. Klick auf Word: nach zwei Sekunden war das Programm eingabebereit.

Das gibt es doch gar nicht! Mal sehen … Da ist doch diese monströse Photoshop-Datei …

Dieses Programm startete einschließlich des Bildes in vielleicht drei Sekunden. Max klickte völlig konsterniert auf das blau/grüne X oben rechts. Sofort erschien:

M:Max:

Ich war wohl etwas voreilig, was Xenia angeht. Sie scheint unglaubliche Fähigkeiten zu haben. Ist das wirklich mein Computer?

Eine gründliche Inspektion des Gehäuses ließ keinen Zweifel zu. Die Macke rechts und der Kaffeefleck neben der Tastatur waren eindeutig. Max schrieb also weiter:

M:Max: Ich muss schon sagen: Ich bin beeindruckt. Eine solche Leistung habe ich auch an großen Maschinen nie erlebt. Und das hier ist mein Laptop.
X:Xenia: Freut mich, dass Du zufrieden bist. Ich konnte nur die Software ändern. Mit anderer Hardware wären ganz andere Ergebnisse möglich.
M:Max: Lass nur. Ich bin wirklich zufrieden. Es ist zwar nicht in Ordnung, fremde Computer zu manipulieren. Aber bei dem Resultat ...
Mir ist völlig schleierhaft, wie Du das gemacht hast. Das ist nach menschlichem Ermessen nicht möglich.
X:Xenia: Das stimmt. Menschliche Fähigkeiten der Programmierung reichen hierzu nicht annähernd aus.
M:Max: Du willst doch wohl nicht etwa im Ernst behaupten, das hätte ein Alien programmiert?
X:Xenia: Ich habe Kontakt mit Dir aufgenommen, weil Du ein fähiger Naturwissenschaftler bist. Als solcher hältst Du Dich an bestimmte Regeln. Selbstverständlich suchst Du bei jeder Fragestellung zunächst für Dich plausible Lösungen. Für die jetzigen Fähigkeiten deines Computers gibt es keine solchen Lösungen. Somit solltest Du andere Lösungen in Betracht ziehen. Selbstverständlich wären diese Lösungen dann kritisch zu überprüfen. So funktioniert echte Wissenschaft, nicht nur hier auf der Erde.
M:Max: Ich weiß recht genau, wie Wissenschaft funktioniert. Mir ist aber nicht klar, was das mit unserem Verhältnis zu tun hat.
X:Xenia: Ich denke, es wäre sinnvoll, wenn ich mich Dir genauer vorstelle. Bitte nehme das zunächst einfach zur Kenntnis, ohne es ungeprüft zu verwerfen.
M:Max: Okay, ich bin gespannt.