Max war von seinem Schreibtisch zur Chaiselongue umgezogen, den Laptop auf dem Schoß, ein Glas Primitivo auf dem Tischchen neben sich.
Ich bin wahrhaftig gespannt, was diese Xenia so von sich geben wird.
X: | Xenia: |
Du hast richtig erkannt, dass meine Fähigkeiten über die von Menschen hinaus gehen. Daraus hast Du geschlossen, dass ich außerirdisch bin. Auch darin hast Du recht. Nimm probehalber an, ich wäre tatsächlich nicht irdisch, also nicht von Deiner Welt. Dann würden Deine Maßstäbe, Deine vorgefassten Meinungen keine Gültigkeit mehr haben – wohl aber Dein analytischer Verstand. Ich weiß, dass Du dazu in der Lage bist. Genau darum habe ich den Kontakt mit Dir gesucht. |
M: | Max: | Ich kommuniziere also mit einer außerirdischen Software? Wer hat Dich programmiert? |
X: | Xenia: |
Ich bin keine Software, sondern ein Lebewesen – die Grenzen können allerdings in hoch entwickelten Kulturen verschwimmen. Und ich habe mich selbst programmiert, wenn Du den Begriff Software weiter fasst. Diesen Gesichtspunkt lass uns aber vertagen. Wir können gern später darauf zurückkommen. Ich wollte Dir bloß keine Antwort schuldig bleiben. |
M: | Max: |
Du hast also meinen Computer infiltriert, um mich zu kontaktieren. Dessen Hard- und Software sind lediglich ein Medium, um zu kommunizieren. Nicht allerdings Kommunikation um der Kommunikation willen. Du willst nicht schwatzen, sondern etwas erfahren, forschen. Genau wie ich zeitlebens. Deswegen fühlst Du Dich mir seelenverwandt ... wenn auch dieser Begriff hier reichlich neben der Spur ist. |
X: | Xenia: |
Ich bin sehr beeindruckt von Deiner Auffassungsgabe. Mir ist noch kein Wesen begegnet, das mich so schnell zutreffend interpretiert hat. Das will etwas heißen. Ich hatte in den letzten zehn Millionen Erdjahren eine Reihe von Kontakten. Ja: Ich bin sehr an Kommunikation interessiert. Deswegen bin ich hier. Und ja: Das ist der Punkt, in dem wir uns ähneln, der Wille, zu forschen, zu erkennen. Mir gefällt auch besonders, wie Du dein unbedachtes Wort von der Seelenverwandtschaftrelativiert hast. Wir beide wissen, dass der Begriff Seelean sich schon Unfug ist. Ich möchte das unbedingt mit Dir diskutieren. Wir sollten das aber trotzdem auch noch zurückstellen. Deinen wirklich klugen Schlussfolgerungen entnehme ich, dass ich mich weniger zurückhalten muss. Ich denke, Du bist in der Lage, mir zu folgen, wenn ich mich dir weiter vorstelle. Bitte unterbrich mich jederzeit, wenn Du doch nicht folgen kannst oder sonstige Bemerkungen hast. |
M: | Max: | Ja – das scheint mir eine gute Idee zu sein. Du bist zu fremd, als dass ich gute Fragen stellen könnte. |
X: | Xenia: |
Schon wieder eine bemerkenswerte Äußerung von dir, Max. In der Tat: Gute Fragen zu stellen, ist nicht einfach. Nun weiter zu mir: Ich komme tatsächlich nicht von der Erde, nicht einmal von diesem Sonnensystem. Es gibt viele andere Systeme in dieser Galaxis, auf denen Leben entstanden ist; ich kenne 1.083. Intelligenz in mindestens menschlichem Ausmaß habe ich ungefähr elfmal angetroffen. Bitte entschuldige diese ungenaue Angabe. Das Problem liegt im Begriff Intelligenz. |
M: | Max: | Dieses Problem ist auch auf der Erde bekannt – allerdings wohl auf ganz anderer Ebene. Die offensichtliche Tatsache, dass der Grad der Intelligenz unter Lebewesen unterschiedlich ist, dass er bei einer Ameise geringer ist als beim Menschen, wird nicht bestritten. Dass aber verschiedene Menschen einen unterschiedlichen Grad an Intelligenz haben, dass sich freilich auch Menschengruppierungen darin unterscheiden, ist aber für sehr viele ein Tabu-Thema. |
X: | Xenia: |
Mit dem Begriff Tabukann ich nichts anfangen. Ich weiß, was das bedeutet, kann den Nutzen aber nicht erkennen. Auch das ist ein Thema, das wir später besprechen sollten. Ich komme also von einem anderen System dieser Galaxis, die ihr Milchstraßenennt. Es ist 21.856 Lichtjahre entfernt. Auf Deine Bemerkung über Ameisen kommen wir noch zurück. |
M: | Max: | Das widerspricht unseren Erkenntnissen der Physik. |
X: | Xenia: |
Euren Kenntnissen der Physik, stimmt. Dir brauche ich doch aber nicht zu erklären, dass jede Erkenntnis vorläufig ist. Das gilt immer, für Dich ebenso wie für mich. Nur so viel: Ich habe sehr viel Zeit und ich bin sehr schnell. Um deiner Frage zuvorzukommen: Ich werde sehrin Hinsicht auf die Geschwindigkeit nicht konkretisieren. Was meine Technik angeht, so werde ich Dir erst recht nichts sagen können. |
M: | Max: | Also hast auch Du Tabus? Kannst du mir wenigstens sagen, warum Du in Sachen Technik so verschlossen bist? |
X: | Xenia: |
Nein – ich habe keine Tabus, denke ich. Tabus sind irrational. Wenn ich keine Angaben zu meinen technischen Fähigkeiten mache, hat das einen sehr rationalen Grund. Ich bin ein Gast hier und will jeden Schaden durch mich vermeiden. Wenn ich meine Technik offenbare, würde das auf eine Katastrophe hinauslaufen. Die Menschen sind noch nicht einmal in der Lage, mit ihren eigenen Erfindungen umzugehen – geschweige denn mit Energien, wie ich sie nutze. |
M: | Max: | Da hast Du leider völlig recht, Xenia. Mich persönlich interessieren ohnehin eher biologische als technische Fragen. |
X: | Xenia: |
Biologischim Sinne der irdischen Biologie bin ich derzeit noch nicht. Ich bin jetzt auch nicht materiell. |
M: | Max: | Du bist also pure Information, die das irdische Internet erreicht hat und damit die Computer der Erde? |
X: | Xenia: | So kann man das formulieren, ja. |
M: | Max: |
Und mit derzeit nochdeutest du an, dass du das ändern willst, dass du dich quasi materialisieren willst? |
X: | Xenia: | Max, Du bist unglaublich. Du hast meine Intentionen sehr genau erfasst. Ich war im Zweifel, ob ich sie verständlich machen kann, und Du schlussfolgerst das einfach so. |
M: | Max: | Ich schlussfolgere weiter: Hierbei, bei Deiner Materialisierung, soll ich Dir helfen. |
X: | Xenia: | Ganz genau. |
M: | Max: | Daraus resultieren unvorstellbare Konsequenzen. Und genau das halte ich für höchst problematisch. Ich habe keine Idee, was passiert, wenn Du hier Gestalt annimmst. |
X: | Xenia: |
Ich bin so froh, dass Du diese Bedenken hast. Falls das nicht so wäre, hätte ich mich dir nicht anvertraut. Es wäre für mich überhaupt kein Problem, mich an irgendeinen Militaristen oder an ein Wirtschaftsunternehmen zu wenden. Wie Du ganz genau weißt, hätten die keinerlei Skrupel. |
M: | Max: |
Das stimmt ohne jede Frage. Wenn ich es nicht mache, machen es andere.ist eine schreckliche Argumentation. |
X: | Xenia: |
Ich verstehe schrecklichin diesem Zusammenhang nicht. |
M: | Max: |
Das hat mit der jüngeren deutschen Geschichte zu tun. Mit dem Argument: Wenn ich es nicht getan hätte, hätten es andere getan.haben Verbrecher versucht, ihre entsetzlichen Taten zu relativieren. |
X: | Xenia: | Du sprichst von den Verbrechen der Nationalsozialisten? |
M: | Max: | Genau das. Du bist erstaunlich gut informiert für eine nicht-irdische Intelligenz. |
X: | Xenia: | Ich forsche schon eine Weile im Internet, kann aber vieles nicht richtig einordnen. Auch dafür brauche ich dich. |
M: | Max: | Ich möchte meine Entscheidung gern auf morgen vertagen. Ich muss darüber schlafen. |
X: | Xenia: | Ich verstehe das sehr gut, Max. Bis morgen. |
M: | Max: | Bis morgen. ≡ |