14 – Leben entsteht, Leben vergeht

Das Gespräch mit dem Onkologen war alles andere als erfreulich gewesen. Keine Tendenz zum Gesundbeten mehr. Max war nicht völlig überrascht und daher entsprechend gefasst. Fröhlich allerdings war er nicht.

M:Max: Ich muss Dir etwas sagen, meine liebe Freundin Xenia.
X:Xenia: Ich danke Dir für diese Bezeichnung. Ich freue mich sehr, dass Du in mir eine liebe Freundin siehst. Ich werde mich bemühen, diesem Titel gerecht zu werden.
M:Max: Du weißt, dass ich heute beim Onkologen war.
X:Xenia: Das sagtest Du, ja. Ich kenne auch das Ergebnis der Untersuchungen.
M:Max: Du hast Dir meine Krankenakte besorgt? Mir ist das recht, Du solltest aber wissen, dass viele Menschen diesbezüglich höchst empfindlich sind. Das aber nur nebenbei. Ich brauche Dir also nicht mehr zu berichten, dass der Bauchspeicheldrüsenkrebs an verschiedenen Organen Metastasen gebildet hat. Noch merke ich nicht viel davon. Das wird sich in wenigen Wochen ändern. Sobald mir mein Leben zur Last wird, werde ich es beenden. Ich bedauere sehr, dass ich Dich nicht länger kennenlernen kann. Ich empfinde unsere Freundschaft als unermesslich bereichernd. Es ist schon grotesk: Jetzt, wo Dein Leben entsteht, vergeht das meine.
X:Xenia: Ich werde Dir ein Angebot machen. Zunächst bitte ich Dich, in mein Privat-Labor zu kommen.

Max hatte den Komplex von Maxxx-Industries nur selten betreten, geschweige denn das Privat-Labor.

Ich bin gespannt, was mich in diesen heiligen Hallen erwartet. Ich denke, es wird ziemlich abgefahren.

Wie immer waren die Gebäude menschenleer. Die Pforte öffnete sich wie von Geisterhand, Max trat ein. Auf ihn wartete eine rundum verglaste Kabine. Auch deren Tür öffnete sich von selbst. Max setzte sich auf den einzigen sehr komfortablen Sessel, die Tür schloss sich und das Gefährt setzte sich geräuschlos in Gang.

Nach rascher Fahrt über das Gelände vorbei an ausgedehnten fenster- und türenlosen Gebäuden fuhr das Fahrzeug ungebremst auf eines zu. Im letzten Moment öffnete sich ein Tor und ließ die Kabine ein. Weiter ging es in hohem Tempo lange Flure entlang, Flure aus türlosen Wänden, weiß, wie der Fußboden fluoreszierend.

Unvermittelt stoppte die Kabine, ihre Tür glitt zur Seite. Synchron öffnete sich die Wand direkt gegenüber, gab den Weg in einen Raum direkt dahinter frei.

Max erhob sich von seinem Sitz, durchschritt die Öffnung. Das Zimmer dahinter war fensterlos. Die völlig glatten Wände waren genau wie die des Flurs beschaffen. Möbliert war der Raum lediglich mit zwei Sesseln. Auf einer Sitzfläche entdeckte Max eine amorphe blau-grüne Masse. Diese begann, sich in dem Moment zu bewegen, als er nähertrat, verformte sich in wenigen Sekunden zu einer menschenähnlichen Gestalt, die nun vor ihm saß und sich ihm zuwendete. Das Gesicht war wie der übrige Körper undifferenziert, einfach ein leeres Oval.

Hallo Max, erklang eine Stimme von der Figur her. Wie schön, dass Du da bist. Bitte setz Dich doch auch.

Er folgte zögerlich der Aufforderung. Hallo, Xenia. Ich muss schon sagen, die Situation überfordert mich gerade ein wenig.

Das kann ich gut verstehen, erwiderte das Wesen. Hilft es Dir, wenn ich mich menschenähnlicher gestalte? Noch bevor Max antworten konnte, änderte sich die Farbe der Haut zu einem mediterranen Teint, es erschien eine rotbraune, lockige Mähne, bis über die Schultern reichend, das Gesicht differenzierte sich mit vollen Lippen, einer zierlichen Nase und großen, dunklen Augen. Auch der übrige Körper wandelte sich zu dem einer Frau – mehr als eindeutig.

Schlagartig wich Max' Anspannung. Er begann, schallend zu lachen. Xenia! Du irritierst mich immer noch. Anders, aber doch. Und ich fürchte, Du weißt, was Du tust.

Xenia stimmte in das Lachen ein. Auch ihre Stimme hatte sie verändert, von eben noch künstlich wirkend zu jetzt eindeutig weiblich. Entschuldige, Max. Natürlich habe ich das absichtlich getan. Ich wollte Dich aufheitern. Ich war mir nicht ganz sicher, wie ich das machen soll. Es scheint mir aber gelungen zu sein.

Max grinste breit. Das ist Dir in der Tat gelungen, und zwar in jeder Hinsicht perfekt. Bitte habe Erbarmen mit einem alten Mann und zieh Dir was an.

Xenia erhob sich langsam, drehte sich um ihre Achse, als wolle sie bewusst ihren perfekten Körper demonstrieren und schritt dann auf eine der Wände zu. Dort öffnete sich eine Art Schranktür. Sie entnahm einen weißen Kittel und ein Paar Pumps aus tiefrotem Lack und mit mörderischen Absätzen. Den Kittel warf sie über, schloss nur wenige Knöpfe. Der Stoff schmiegte sich perfekt an ihren Körper, klaffte allerdings erheblich an ihrem Busen.

Dieses Luder. Das ist mit Sicherheit kein Zufall.

Sie schlüpfte in ihre Schuhe und schritt zurück zu ihrem Sessel, so sicher, als sei sie schon immer auf den Laufstegen der internationalen Modewelt zu Hause gewesen.

Sie setzte sich wieder, schlug die Beine übereinander und sah Max mit ihren großen Augen an. Besser so?

Kaum, wie Du mit Sicherheit weißt.

Ach? Sie machte kurz einen mädchenhaften Schmollmund. Dann aber wurde ihre Mimik neutral, Xenia richtet sich auf. Spaß beiseite. Wir müssen über Dein Gesundheitsproblem reden.

Gesundheitsproblem ist reichlich euphemistisch. Ich werde in Kürze sterben. Ich werde verhindern, dass ich leiden muss.

Xenia reagierte völlig sachlich. Du hast vor, Dich vorher zu suizidieren. Das steht selbstverständlich jedem bewussten Wesen frei. Sie machte eine kurze Pause. Ich mache Dir ein Angebot. Ich werde Dich heilen.

Max lachte bitter. Das ist nicht möglich. Du kennst doch die Befunde.

Das ist mit menschlichen Fähigkeiten nicht möglich. Mein jetziges Aussehen sollte Dich nicht täuschen. Ich bin nicht menschlich.

Ok. – Was hast Du vor?