18 – Philosophisches - 01

Am nächsten Morgen erwachte Max mit bester Laune.

Ich habe in den ganzen letzten Monaten nicht so gut geschlafen. Offensichtlich hat mich der Krebs doch mehr beschäftigt, als ich mir eingestehen wollte.

Mit großem Appetit machte er sich über das Frühstück her, zog sich dann mit seiner überdimensionierten Teetasse auf die Couch zurück und richtete seine Gedanken aus.

Guten Morgen, Xenia. Ich würde mich gern mit Dir unterhalten.

Das freut mich sehr, Max. Guten Morgen. Was möchtest Du wissen?

Wir haben festgestellt, dass eine gute Fragestellung extrem wichtig ist. Was sind Deine Fragen? Was sind Deine Motive, die Erde zu besuchen? Du weißt doch viel mehr, als wir Menschen erahnen können. Was gibt es hier für Dich noch zu entdecken oder gar zu lernen?

Mich interessiert, wohin das Phänomen Intelligenz führt. Wie ich Dir sagte, bin ich bereits einige Male darauf gestoßen.

Etwa elfmal. Ich erinnere mich.

Ja, das stimmt. Das ist keine große Zahl. Intelligenz ist selten anzutreffen. Das liegt zum einen daran, dass sich Intelligenz nur selten entwickelt. Zum anderen aber führt Intelligenz häufig zur Selbstzerstörung. Fast doppelt so oft wie noch existierende intelligente Wesen habe ich Planeten angetroffen, die von ihren früheren Bewohnern völlig zerstört worden waren – gerade wegen ihrer Intelligenz.

Diese Befürchtung ist den Hellsichtigen unter uns Menschen nicht fremd. Woran liegt es, dass manche intelligente Zivilisationen überleben und andere nicht?

Genau das ist meine Frage, die ich zu ergründen suche. Ich denke, dass ich schon eine Antwort gefunden habe. Allerdings ist meine Stichprobe, wenn man es so nennen will, klein. Trotzdem: Es ergibt sich ein klares Muster.

Das ist, wie Du natürlich genau weißt, höchst interessant. Mehr noch: Das ist für die Menschheit überlebenswichtig. Bitte erkläre mir Deine Theorie.

Ich mache das sehr gern, Max. Ich glaube aber nicht, dass Euch das retten wird.
Lass mich zwei Begriffe einführen: ethische Intelligenz und technische Intelligenz. Es ist entscheidend, in welchem Verhältnis sie stehen.
Nach meinen Erfahrungen führen große Fortschritte in der Technik bei mangelhafter Entwicklung der Ethik regelmäßig zur Katastrophe.
Wie ich aus Euren historischen Schriften entnehme, war die Menschheit auf gutem Weg. Die ethische Intelligenz war bereits weit entwickelt. Ich habe Aristoteles schon erwähnt. In diesem Zusammenhang viel wichtiger unter den griechischen Philosophen ist Epikur. Es gab noch andere hervorragende Denker, nicht nur in Griechenland. Ich meine zum Beispiel Buddha, der Dir ja durchaus ein Begriff ist, nicht wahr?

Ich bin kein wirklich profunder ein Kenner der buddhistischen Philosophie – ein Sympathisant bin ich aber durchaus. Einige, nein viele Ideen sprechen mich an. Dazu gehören die Brahma-Vihara. Dazu habe ich meine eigenen Gedanken. Wenn Du möchtest, kann ich sie Dir gern erläutern.
Im Gegenzug hätte ich gern von Dir ein Update in Sachen Epikur. Ich muss gestehen, dass ich nicht viel über ihn weiß. Viel mehr als Ausrichtung des Lebens nach dem Lust-Prinzip fällt mir nicht ein.
Noch viel wichtiger ist mir aber Deine unterschwellige Bemerkung hinsichtlich des Christentums. Auf gutem Weg impliziert ja, dass dieser verlassen wurde …

Ich muss wieder feststellen, dass Du mich erstaunst. Wieder interpretierst Du mich zutreffend. Ja, über die christliche Religion werden wir zu sprechen haben. Gern referiere ich auch über Epikur, der übrigens erstaunlich nah an Buddhas Ideen argumentiert. Zunächst aber gib mir bitte Deine Sicht auf die Brahma-Vihara wieder.

Gern. Wie Du wohl schon weißt, bilden die vier himmlischen Verweilungen, die Brahma-Vihara nämlich, die Basis für spezielle buddhistische Meditationen. Sinn dieser Meditationen ist, diese Verweilungen als ethisches Fundament im täglichen Leben zu etablieren. Die einzelnen Bestandteile dieser Ethik sind Liebe, Mitleid, Freude und Gelassenheit. Diese soll der Meditierende entwickeln und grenzenlos in alle Richtungen abstrahlen. – So die Theorie, wie sie buddhistische Lehrer vermitteln.
Nach meiner Auffassung sind diese vier Geisteshaltungen vier Aspekte einer einzigen Grundeinstellung. Das mag irritieren, weil Liebe und Gelassenheit sich zu widersprechen scheinen, mehr vielleicht noch Mitfreude und Mitleid.
Mir hilft zum Verständnis der Begriffe die Verdeutlichung anhand von deren Gegensätzen. Es gibt jeweils zwei Gegensätze: den offensichtlichen und damit unproblematischen und den weniger evidenten, hochproblematischen.
Fangen wir mit der Liebe an. Der offensichtliche Gegensatz ist Hass. Liebe im Sinne der Brahma-Vihara steht aber auch in diametralem Gegensatz zum anhaftenden Besitzergreifen. Diese Vereinnahmung der vermeintlich geliebten Person ist das Gegenteil von metta, von der in der Meditation zu entwickelnden Liebe. Diese Anhaftung schlägt oft in abgrundtiefen Hass um, wenn das so belästigte Objekt dieses Gefühl nicht erwidert.
Tatsächliche Liebe oder liebende Güte, wie oft formuliert wird, haftet dagegen nicht an, engt nicht ein und belästigt nicht – weder den Geliebten noch den Liebenden. Sie ist getragen von Gelassenheit.
Diese, die Gelassenheit also, hat ebenfalls zwei Gegensätze: offensichtlich die Aufgeregtheit und bei tieferer Betrachtung die Gleichgültigkeit. Letztere wird oft mit der zu übenden Gelassenheit verwechselt.
Wer also zwischen Gelassenheit und Liebe einen Widerspruch sieht, ist in die egoistisch motivierten Perversionen der Geisteshaltungen verstrickt. Wer sich aus diesen Verirrungen befreit, erkennt in Liebe und Gelassenheit zwei Seiten einer Medaille.
Auf die Gegensätze zu Mitleid, nämlich Sadismus und apathisches Jammern sowie zu Mitfreude, nämlich Neid und berauschter Taumel, will ich hier und jetzt nicht weiter eingehen.
Derartige Erläuterungen haben ohnehin nur einen begrenzten Sinn. Man muss die Brahma-Vihara durch eigenes Bemühen begreifen. Es ist dabei nicht wesentlich, ob man dieses Bemühen nun Meditation, Reflexion oder sonst wie nennt.

Du hast meine Sicht auf die Brahma-Vihara wirklich erweitert. Mein Wissen von Eurer Welt ist ein lexikalisches. Ich sammle Informationen, habe aber bisweilen Schwierigkeiten, sie miteinander in eine korrekte Beziehung zu setzen. In der Tat: Hierfür bedarf es des stetigen Bemühens.
Nun zu Epikur. Er wurde kurz nach dem Tod von Platon geboren, lebte also um 300 vor eurer Zeitrechnung. Lass mich ihn direkt zitieren:

Immer und überall soll Dir das viergliedrige Heilmittel zur Hand sein:
• Die Gottheit braucht keinen Schrecken zu erregen.
• der Tod keine Furcht.
• das Gute ist leicht zu beschaffen.
• das Schlimme aber leicht zu ertragen.

Diese Heilmittel führen zu einem lustvollen Leben, so Epikur. Den Begriff Lust allerdings definierte er ganz anders als üblich. Er meinte damit keineswegs üppiges Prassen. Im Gegenteil. So bat er einen Freund:

Schicke mir ein Stück Käse, damit ich einmal gut essen kann.

Die zu erstrebende Lustmaximierung setzt kluges Abwägen voraus:

Allen Begierden muss man mit dieser Frage begegnen: Welche Konsequenzen hat es für mich, wenn sich dasjenige erfüllt, was meine Begierde ersehnt? Und welche hat es, wenn sich das nicht erfüllen würde?

Reicher wird man nach seiner Auffassung nicht durch immer weiteres Anhäufen von Vermögen, sondern durch Minderung der Begierden, denn:

Der größte Reichtum ist die Selbstgenügsamkeit.

So lässt sich verstehen, dass das Gute leicht zu beschaffen sei.
Als höchstes Gut sieht er mit vielen anderen griechischen Philosophen Ataraxie, die unerschütterliche Gelassenheit. Die aber beschreibt er im Gegensatz zu andern als lustvoll, als höchste Lust sogar.

Lust mit Gelassenheit zu verknüpfen, ist ein interessanter Aspekt und erinnert mich natürlich an die Verbindung von Liebe und Gelassenheit in den Brahma-Vihara. Beides sind Begriffspaarungen, die auf den ersten Blick als absurd erscheinen und doch von tiefer Einsicht zeugen.

Das sehe ich auch so. Dass aber dieses Gute, die Ataraxie, leicht zu beschaffen sei, ist eine Aussage, die mich irritiert. Insbesondere die menschliche Psyche beweist doch das Gegenteil.

Max lachte laut auf.

Das ist für Dich wohl tatsächlich schwer zu verstehen. Epikur bedient sich hier der Ironie. Auch ihm ist natürlich bewusst, dass Gelassenheit alles andere als leicht zu erreichen ist. Diese Ironie nutzt er, denke ich, als Ansporn, etwa in dem Sinne: Stell Dich nicht so an! Um das höchste Gut, die Gelassenheit, zu erreichen, benötigst Du keinen körperlichen Kraftakt, kein Vermögen, sondern nur Einsicht, die sich dem klaren Verstand leicht erschließt.
Dass das Gute also leicht zu beschaffen ist, habe ich verstanden. Wie steht es mit den anderen Heilmitteln? Mich interessiert besonders die Aussage: Die Gottheit braucht keinen Schrecken zu erregen.

Epikur sah Götter durchaus als materiell existent, aber für die Menschen unerreichbar an. Sie bestünden wie wir, wie alle Materie, aus Atomen und ließen es sich gut gehen. Keineswegs hätten sie die Welt geschaffen, noch gar kümmerten sie sich im Geringsten um die Menschen. Ihnen ist es schlicht egal, ob Opfer erbracht werden, ob sie angebetet oder ob ihrer ehrfurchtsvoll gedacht wird.

Auch hier sehe ich eine Parallele zum Buddhismus. Hier werden Götter als Wesen einer Parallelwelt angesehen, für die gewöhnlichen Menschen ebenfalls nicht zu erreichen und letztlich auch nicht relevant. Insofern seien sie auch nicht zu verehren und schon gar nicht verbreiteten sie Schrecken.
Dass auch der Tod keine Furcht erregen muss, ist mir selbst sehr einsichtig, wie Du ja schon weißt. Wie aber begründet Epikur das?

Sehr eingängig:

Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.

Zu Deinen Suizid-Plänen bezog er übrigens auch klar Stellung:

Schlimm ist der Zwang, doch es gibt keinen Zwang, unter Zwang zu leben.

Und deswegen ist das Schlimme leicht zu ertragen.

Richtig. In der Beschreibung eines Weisen fasst Epikur all das Gesagte noch einmal zusammen:

Er hat seinen Begierden Grenzen gesetzt; er ist gleichgültig gegen den Tod; er hat von den unsterblichen Göttern, ohne sie irgendwie zu fürchten, richtige Vorstellungen; er nimmt keinen Anstand, wenn es so besser ist, aus dem Leben zu scheiden. Mit solchen Eigenschaften ausgerüstet, befindet er sich stets im Zustand der Lust. Es gibt ja keinen Augenblick, wo er nicht mehr Genüsse als Schmerzen hätte.

In wenigen Worten hat dieser Philosoph hier sehr viel Richtiges gesagt. Richtiges und auch die christliche Zerknirschungstheologie Entlarvendes.

So ist es – darum wurde Epikur auch von den christlichen Theologen verleumdet. Noch heute hat er nicht die Bedeutung, die ihm zukommt.
Die Erkenntnis, dass kritisch reflektierte Lust unkritische Demut verdrängt, ist aus Sicht aller abrahamitischen Religionen unerträglich. Epikur steht also auch bei jüdischen und vor allem auch bei muslimischen Geistlichen nicht hoch im Kurs.
Das aber wäre kein Problem, wenn diese Geistlichen mit ihren Verirrungen allein blieben. Die Katastrophe ist, dass sie das schon Jahrhunderte vor Christus überwundene primitive Weltbild eines Nomadenvolkes mit ihrem widerlichen rachsüchtigen Gott konserviert haben, mehr noch: Es verbreitet haben, die richtigen Ansätze der griechischen Philosophen verdrängt haben.

Der widerliche, rachsüchtige Gott des Alten Testaments wurde aber doch von Jesus revidiert.

Ich glaube, Du willst mich testen, ob ich Ironie verstanden habe. Hier ist sie einfach zu erkennen. Du kannst das nicht ernsthaft auch nur erwägen. Das Neue Testament ist voll von widerwärtigen Aussagen. Besonders bemerkenswert finde ich Matthäus 13, 37-43:

Der Menschensohn ist's, der den guten Samen sät.
Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reichs. Das Unkraut sind die Kinder des Bösen.
Der Feind, der es sät, ist der Teufel. Die Ernte ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel.
Wie man nun das Unkraut ausjätet und mit Feuer verbrennt, so wird's auch am Ende der Welt gehen.
Der Menschensohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alles, was zum Abfall verführt, und die da Unrecht tun,
und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein.
Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich. Wer Ohren hat, der höre!

In der Tat: ein sehr schönes Beispiel für die Barmherzigkeit Jesu. Und die Christen hatten Ohren und hörten. Zahllose systematische Verbrechen wie zum Beispiel die Inquisition oder die Kreuzzüge belegen das nachdrücklich. – Und das sind nur ganz wenige Beispiele. Die Kriminalgeschichte des Christentums umfasst über 5000 Seiten.

Ja. Ich kenne dieses Werk von Karlheinz Deschner. Ohne seine wichtige Arbeit im Geringsten schmälern zu wollen: Es hätte dieses Umfangs nicht bedurft, um den offensichtlichen Charakter der christlichen Religion aufzuzeigen.
Viel weniger offensichtlich ist, wie es geschehen konnte, dass der Wahn eines unehelichen Sohns einer Zimmermannsfrau aus dem Dorf Nazareth in Galiläa eine solche Wirkung erzielen konnte.
Die Religion des Alten Testaments spiegelt das schon benannte primitive Weltbild eines Nomadenvolkes wider. Schlicht und falsch, aber von einer unkultivierten Sichtweise her nachvollziehbar.
Die Absurditäten um die Person jenes Psychopathen aus Nazareth herum sind aber völlig unverständlich. Derartiger Unsinn sollte über 300 Jahre nach Epikur nicht mehr vermittelbar sein.

Du übersiehst, dass Epikur und die anderen Philosophen nur eine verschwindende Minderheit waren. Ihre Ideen waren für die große Masse der Menschen unerreichbar. Die Religion des Alten Testaments war dagegen Allgemeingut, wurde von Eltern auf Kinder vererbt. Sie wird es bei den Juden mehr oder weniger immer noch unverändert.
Inwieweit Jesus tatsächlich ein Psychopath war oder vielleicht nur ein gerissener Aufschneider, vermag ich nicht zu erkennen. Ich vermute Ersteres. Ein einfacher Angeber würde sich nicht zu derartig grotesken Lügen wie der Schwängerung seiner Mutter durch den Heiligen Geist oder der Verwandtschaft mit Gott hinreißen lassen. Das Risiko, ausgelacht oder verprügelt zu werden, ist zu groß.
Wie auch immer: Jesus verbreitete seine Fantastereien und schuf eine neue Religion. So sehen es jedenfalls die Juden und die Muslime. Die Christen dagegen meinen, dass deren Religion die des Abraham sei, nur eben upgedatet durch den Sohn Gottes, der wiederum aber doch nicht Sohn, sondern Gott selber ist und in weiterer Personalunion mit dem Schwängerer seiner Mutter die Heilige Dreieinigkeit bildet.
Mir scheint, dass Absurdität dem Glauben keinen Abbruch tut, sondern diesen merkwürdigerweise auch noch festigt. Das ist nicht nur bei Christen zu beobachten, sondern zum Beispiel auch bei Muslimen. Deswegen hat es wenig Effekt, solchen Fehlorientierten sachliche Argumente vorzutragen. Die Entlarvung ihres Glaubens als Unsinn verstärkt ihre Frömmigkeit noch.

Genau das aber ist unbegreiflich. Ich habe mich falsch ausgedrückt. Es geht nicht um Wahninhalte, wie Absurditäten um die Person Jesu, sondern um die Infektiosität dieses Wahns.

Auch ich kann das nicht nachvollziehen. Sicherlich: Religion ist ein unübertreffliches Machtinstrument, eine schier unerschöpfliche Geldquelle, eine Methode, Menschen zu kriegslüsternen Bestien zu machen und was der widerlichen Wirkungen noch mehr sind. Voraussetzung für all das ist aber die grundsätzliche Funktion der Religion: das Denken zu unterbinden.
Freilich: Nicht jeder Mensch hat die Kapazitäten eines Epikur oder eines Siddhartha Gautama, des Buddha. Das braucht man aber auch nicht, um die intellektuellen Zumutungen der abrahamitischen Religionen als solche zu erkennen.
Nur Religionen sind in der Lage, derartige Geistesstörungen hervorzurufen, organische Hirnschädigungen und Drogen mal ausgenommen. Im Gegensatz zu diesen Ausnahmen sind Religionen in der Tat infektiös. Und Symptom dieser Infektion ist die Perversion der Ethik zur Moral.

Bitte erkläre mir das. Ethik und Moral werden meist synonym gebraucht.

Das stimmt nicht. Stell Dir mal vor, die Ethikkommission der Ärzteschaft hieße Moralkommission – eine gruselige Idee!

Ich verstehe das nicht. Semantische Feinheiten sind nicht meine Stärke.

Ich erkläre Dir das gern. Moral wird durch vorgegebene Normen bestimmt, Normen, wie sie etwa durch Religion aufgezwungen werden. Ethik definiert sich dagegen durch Einsicht. Moral fragt nach gut und böse, Ethik nach fair und unfair. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Ein Suizid kann nicht unfair sein, ist also definitiv nicht unethisch. Die Kirche allerdings lehnt selbstbestimmtes Sterben als unmoralisch ab.

Ich verstehe. Diese Differenzierung ist sehr hilfreich. In diesem Sinne ist zum Beispiel das muslimisch geprägte Verständnis von Ehre moralisch gerechtfertigt, in seinen Auswirkungen aber selbstverständlich unethisch.

Genau so. Wenn muslimische Religioten ihre Ehefrauen verprügeln oder gar Ehrenmorde begehen, ist das vom Koran gedeckt, wie sich sogar die Verbrecher des Islamischen Staats zu Recht auf den Koran beziehen, also moralisch handeln. Dass sie zutiefst unethisch handeln, bedarf keiner Diskussion.

Deine Abgrenzung der Ethik zur Moral ist einleuchtend. Ethik hat also Intellekt zur Voraussetzung, Moral Gehorsam.
Ich lag also ganz richtig, als ich von ethischer Intelligenz sprach. Ich setzte das ins Verhältnis zur technischen Intelligenz. Letztere wird von der Religion nicht so weitgehend wie die Ethik außer Kraft gesetzt und hat sich entsprechend entwickelt. – Leider von christlicher Moral verbogen und nicht von Ethik korrigiert.

Inwiefern verbiegt die christliche Ethik die Technik?

Der christliche Wahn sieht den Menschen als Krone der Schöpfung – wie der jüdische und muslimische freilich auch.

Seid fruchtbar und mehret Euch und füllet die Erde und machet sie Euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über alles Lebendige, was auf Erden kriecht!

Diesen Befehl setzen die Menschen mithilfe ihrer fortschreitenden Technik gründlich um – so gründlich, dass sie begonnen haben, ihren Lebensraum systematisch zu zerstören, sei es durch Krieg, sei es durch sonstige Errungenschaften.

Das stimmt bedauerlicherweise. Abhilfe könnte nur eine unmoralische, nämlich ethische Weltanschauung bringen. Ich will damit nicht sagen, dass sich moralisches und ethisches Handeln immer widersprechen muss. Trotzdem: Wir können uns die Manipulation durch Moral nicht mehr leisten. Für unsere heutigen technischen Möglichkeiten taugt die Weltanschauung einer primitiven Hirten- und Nomadenkultur nicht mehr.

Stimmt genau! Die Frage ist, wie das zu erreichen ist. Es geht, wie ich ja schon sagte, buchstäblich um Leben und Tod für das höher entwickelte Leben auf diesem Planeten. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe, wie ich sagte, schon eine Reihe von Weltuntergängen erlebt – genauer gesagt: deren Folgen. Damit meine ich die von mir entdeckten 20 Welten, die durch fehlentwickelte Intelligenz ihrer Bewohner zerstört worden sind. Eure Welt erlebe ich nun zu einem Zeitpunkt der Entscheidung. Ich fürchte, sie wird Nummer 21 auf meiner traurigen Liste.
Das ist äußerst bedauerlich – zumal gute Aussichten für Euch bestanden. Die Menschen waren auf gutem Wege, zu einer vernünftigen Weltanschauung zu gelangen. Epikur ist ein gutes Beispiel hierfür. Leider wurden diese Ansätze durch die christliche Religion zerstört, die erarbeitete Ethik fiel zurück auf primitive Moral.

Du meinst, dass Ethik und Moral sich nicht in allen Punkten widersprechen müssen. Das ist formal korrekt, diese Aussage ist aber nicht hilfreich, da sie als Relativierung der zerstörerischen Wirkung moral-basierter Verirrungen missverstanden werden kann.

Im dringlichen Interesse für die Entwicklung, ja nur den Fortbestand höheren Lebens auf der Erde: Seid nicht nur unmoralisch, sondern konsequent antimoralisch! Jede Form der religiösen Indoktrination ist zu bekämpfen, insbesondere die mit dem perfiden Mittel der Moral. Man kann Voltaire nur zustimmen:

Écrasez l’infâme!
Zerschmettert das Schändliche!

Er meinte damit die Religion.
Wenn sich Eure Technik weiterentwickelt – und sie wird das tun – dann bedarf sie unbedingt einer rationalen Ethik. Eine weitere Fehlsteuerung durch eine diktierte Moral wäre verheerend. Nicht nur Eure Geschichte zeigt, dass diese Moral Instrument der Entmenschlichung ist, die schließlich zur Vernichtung führen wird.
Der US-amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Steven Weinberg stellte sehr treffend fest:

Religion is an insult to human dignity. With or without it you would have good people doing good things and evil people doing evil things. But for good people to do evil things, that takes religion.
Religion ist eine Beleidigung der Menschenwürde. Mit oder ohne sie würden gute Menschen Gutes tun und böse Menschen Böses. Aber damit gute Menschen Böses tun, bedarf es der Religion.

Was ist Deine Rolle hier? Willst Du nur beobachten oder intervenieren?

Ich weiß es noch nicht.