So offensichtlich die Welt auch erscheinen mag: Ist sie tatsächlich so, wie wir sie sehen? Bei näherem Nachdenken wird das zunehmend unwahrscheinlich. Jede Auseinandersetzung, selbst eine betont einvernehmliche, macht deutlich, dass es unterschiedliche Weltbilder gibt. Genau betrachtet hat jeder sein eigenes Weltbild.
Sinn einer solchen Auseinandersetzung ist vermeintlich die Klärung, welches Weltbild nun das richtige sei. Vermeintlich! Es fragt sich sehr, ob wir überhaupt in der Lage sind, die Welt richtig
zu sehen.
Platon (griechischer Philosoph, ≈ 428-348 v.u.Z.) war der Überzeugung, dass wir unsere Umwelt prinzipiell nicht direkt wahrnehmen können. Er verglich unseren Eindruck von den Dingen mit Schattenbildern. Er verdeutlichte das in seinem berühmten Höhlengleichnis: Wir sähen nur einen Schatten der Dinge, also indirekt und somit unvollkommen. Das aber würden wir regelmäßig nicht bemerken. Wir wären überzeugt von der Objektivität
unseres Weltbildes und wären nicht nur unfähig, sondern auch nicht gewillt, die Dinge zu sehen, wie sie tatsächlich sind.
Immanuel Kant hat dieses wahrhaftig klassische Thema aufgegriffen, indem er sich eingehend mit dem Begriff Ding an sich
auseinandersetzte. Diesen Begriff hat er nicht erfunden, übernahm ihn vielmehr und definierte ihn neu. Diese kantische Definition ist nicht einheitlich. Er nutzt den Begriff in unterschiedlichen Zusammenhängen und mit unterschiedlichen Bedeutungen.
Wenig bescheiden, wie ich nun einmal bin, will ich das Ding an sich
ebenfalls in Augenschein nehmen, respektive zeigen, dass eine solche in-Augenschein-Nahme nicht möglich ist. Ich reihe mich also in die Betrachtungen Platons und Kants ein.
Um das Thema in-Augenschein-Nahme
, genauer: das Thema Auge
, aufzugreifen, sei dieses Organ noch einmal betrachtet.
Wir nehmen unsere Umwelt mit unseren Sinnesorganen wahr, und zwar in derartig großem Umfang mit den Augen, dass manche Autoren den Menschen als Augentier
bezeichnen. Trotzdem ist der Aufbau unserer Augen mangelhaft, wie an anderem Ort schon eingehend dargestellt. Das, was wir „sehen“ nennen, wäre für jeden Adler eine Lachnummer. stellt der Autor Christian Kalwas in seinem Buch Gott ist ein Arschloch treffend fest.
Ein Adler sieht also im Vergleich zum Menschen richtiger
, weil schärfer. Betrachten wir das Sehorgan von Insekten, das Facettenauge. Das ist prinzipiell anders aufgebaut als das von Adlern oder Menschen. Und es nimmt auch ganz anders wahr, nämlich ein anderes Spektrum. Es registriert auch Farben weit im Ultraviolett, kann aber langwelliges Licht, also Rot weniger gut erkennen.
Kann man sagen, dass eine Biene richtiger
als wir sieht? – Wohl nicht. Sie sieht anders. Richtig
und falsch
sind in diesem Zusammenhang keine sinnvollen Kriterien – jedenfalls nicht für Adler und Biene. Für sie ist wesentlich, dass ihre Augen funktionieren. Funktionieren
bedeutet hier: tauglich für den Nahrungserwerb. Mit den Fähigkeiten menschlicher Augen würden sie verhungern. Ihr Interesse gilt ihrem Überleben und dem ihrer Nachkommen, also dem Ding für sich
.
Die Frage nach dem Ding an sich
ist eine rein menschliche Angelegenheit. – Und sie wird (ewig?) frustran bleiben. Diese Frustration mag manche intellektuell entsprechend konfigurierte Menschen dazu verleiten, sich ein Wesen auszudenken, das in der Lage ist, die Welt an sich
zu begreifen, sie gar zu erschaffen. Was damit gewonnen ist, erschließt sich nicht, denn erstens ist das Wesen lediglich ein Fantasieprodukt und zweitens könnten wir an dessen Einsichten nicht teilhaben, wie Platon schon anmerkte (s. o.). Gleichwohl gibt es Kriterien für die Wertigkeit des Wissens.
Verwandt mit der Problematik Ding an sich
scheint mir die Frage nach dem Sinn des Lebens zu sein. Auch das ist eine rein menschliche Spezialität. Ich habe der Sinnfrage einen eigenen Exkurs gewidmet.