Exkurs: Erstes Gebot

Ein lieber, sehr geschätzter Freund, emeritierter Pastor, schenkte mir unlängst ein Buch von Peter Hahne: Passiert - notiert Geschichten, die das Leben schrieb. Dieses Buch zu lesen, war für mich nicht einfach – weniger wegen des intellektuellen Gehalts. Der ist überschaubar. Es handelt sich um eine Ansammlung mehr oder eher weniger interessanter Anekdötchen über die Erlebnisse mit seinem Gott. Hahne meint, diese mit penetrantem missionarischem Eifer kundtun zu müssen. Schwer erträglich. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass Hahne die Existenz Gottes als Tatsache voraussetzt. Dieses Problem habe ich häufig, wenn ich mich mit Gläubigen auseinandersetze. Da erfahre ich beispielsweise: Gott liebt Dich trotz Deiner falschen Einstellung. oder auch: Gott wird Dich für Deinen lästerlichen Atheismus strafen. Das sind Aussagen, die mich herzlich wenig tangieren: Weder lege ich irgendeinen Wert auf die Liebe einer Fantasiegestalt noch schreckt mich die Fantasie von der Hölle. Die herzerfrischende Beschreibung derselben durch den Juniorchef ist mir durchaus bekannt.

Gebots-Tafeln

All diese Eiferer – der genannte Pastor gehört nicht dazu! – können oder wollen nicht begreifen, dass ich das erste Gebot des Dekaloges nicht befolge. Mehr noch: Ich distanziere mich mit allem Nachdruck davon. In diesem Gebot heißt es:

Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

Das allerdings ist eine Kurzfassung, im vollständigen Text wird klargestellt, dass Gott eifersüchtig ist. Für meine Einstellung droht er mit Rache bis in die vierte Generation, also bis zu meinen noch gar nicht geborenen Urenkeln. Ich kann nicht glauben, dass es ein Zufall ist, dass diese widerwärtigen Aussagen des ersten Gebotes meist unterschlagen werden. Das geschieht nämlich regelmäßig bei den vielen abscheulichen Passagen in der Bibel.

Mein Freund nun erklärte mir, dass die Festlegung auf das vierte Glied eine wohlmeinende Begrenzung sei. Die Verfolgung durch den eifersüchtigen Gott sei damit dann abgeschlossen. In früheren Zeiten und auch heute noch seien Feindschaften über Generationen hinweg durchaus Realität – hinsichtlich einzelner Familien, Stämmen, Nationen, Rassen.

Dem ist zu entgegnen:

  1. Diese Interpretation ergibt sich aus dem Text nicht. Es kann hier durchaus nicht eine Maximal-, sondern eine Mindestzahl an Generationen gemeint sein, die alle von Gottes nachtragendem Zorn heimgesucht werden. Ich halte diese zweite Interpretation für weit wahrscheinlicher, denn Gottes Charakterschwäche der Eifersucht wird hier besonders betont.

  2. Eine derartige Deutung aus historischem Blickwinkel mag von akademischem Interesse sein. Fakt ist aber, dass die heilige Schrift den Gläubigen als Orientierung im heutigen Leben zugemutet wird.

Das Rechts-Prinzip der Sippenhaft ist im biblischen Sinne offensichtlich moralisch (wie beispielsweise Kannibalismus auch). Die Bibel definiert nämlich ihre eigentümliche Moral selbst. Der stalinistische Diktator Nordkoreas, Kim Il-sung, war im Übrigen gnädiger als der liebe Gott: Dieser Verbrecher betrieb die Sippenhaft nur bis ins dritte Glied. Für jeden aufgeklärten Humanisten ist eine solche Haltung selbstverständlich zutiefst unethisch. Zur Differenzierung Ethik / Moral habe ich an anderer Stelle ausführlich Stellung bezogen.

Das erste Gebot disqualifiziert den Gottesglauben somit bereits im eigenen Wortlaut. Auch unabhängig davon erschließt sich mir die Hyperthese von der Existenz irgendeines Gottes nicht.

Genau genommen breche ich das erste Gebot übrigens nicht: Ich habe keine anderen Götter neben diesem widerlich eifersüchtigen und nachtragenden Christen-Gott. Ihn selbst allerdings habe ich auch ganz und gar nicht. Mein entschiedener Widerstand richtet sich vielmehr gegen das apostolische Glaubensbekenntnis, die Zehn Gebote und das Vaterunser. Alle sind Bestandteil des Kleinen Katechismus, verfasst von meinem besonderen Freund Martin Luther.