Exkurs:
Gebet

Klopapier
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In meinem Text über das Fiasko der Theodizee habe ich eine Grafik von einer leeren Klopapierrolle veröffentlicht. Das mag zunächst auch auf Nicht-Verwirrte unnötig blasphemisch wirken. Schließlich geht es beim Thema Theodizee in der Regel um fundamentalere Probleme als um fehlendes Klopapier. Es geht um nicht erhörte Gebete. Gebete, wie jenes aus Schloß Gripsholm dem Roman von Kurt Tucholsky:

Ach du liebes Gottchen,
behüte unser Lottchen
vor dem Hunger, Not und Sturm
und vor dem bösen Hosenwurm.
Amen.

Schon wieder pure Blasphemie! mag sich der eine oder andere Bedenkenträger beschweren. In der Tat erscheint es lächerlich, Gott für fehlendes Klopapier verantwortlich zu machen. – Es ist tatsächlich lächerlich. Die Absurdität allerdings liegt nicht im Ziel des Bittgebets. Es ist letztlich unerheblich, ob für Klopapier, gegen den bösen Hosenwurm gebetet wird oder aber gegen Hunger, Not und Sturm – jede Art von Kommunikation mit einem Fantasieprodukt ist albern, sei es Gott, sei es Donald Duck.

Gelegentlich – das sei zugegeben – werden allerdings real existierende Wesen angebetet. Ich biete dem geneigten Leser hier ein erschütterndes Beispiel tiefschürfender Inbrunst.

Nun werden Bittgebete von manchen Theologen als religiös minder korrekt angesehen. Sie sind allerdings sehr häufig, werden sogar unbewusst gesprochen. Herrje, kein Klopapier mehr da! bedeutet nichts anderes als: Mein Herr Jesus, kein Klopapier mehr da!, ist also ein verkapptes Stoßgebet. Außerdem sind theologisch höher im Kurs stehende Gebete zur Lobpreisung Gottes auch nichts anderes als ein Deal. Sie werden gesprochen, um Gott kümmerlich zu nähren und um so Bonuspunkte für ein imaginäres Jenseits zu sammeln.

Christopher Hitchens sezierte in seiner unnachahmlich treffenden Art Gebet als

Eine Eingabe, die Naturgesetze möchten doch zugunsten des Bittstellers aufgehoben werden, welcher sich gleichzeitig für zutiefst unwürdig erklärt.

Weiter führt er aus:

Jedermann kann den Witz dieses Eintrags erkennen: Der Mann, der betet, glaubt, Gott habe etwas falsch angeordnet, glaubt aber auch, er könne Gott instruieren, wie es richtig wäre.

Betrachten wir jetzt die von allen Christen bis zum Erbrechen praktizierte Hirnwäsche, das vom Junior-Chef wärmstens empfohlene

Vaterunser

betende Hände

Vater unser im Himmel

Selbstverständlich im Himmel. Wo denn sonst? Der Chef hat sich auf Erden, in der Realität also, nie sehen lassen – wahngeschwängerte Halluzinationen mal außer Acht gelassen.
Die Nötigung, dieses Etwas als Vater anzuerkennen, ist eine absurde Zumutung. Schon die Behauptung, er habe Maria geschwängert, ist schwer erträglich. Meine Mutter aber auch? Bitte nicht!
Der Einwand, geschwängert wäre naiv konkret, gilt nicht. Die Bezeichnung Vater ist es nicht minder.

Geheiligt werde dein Name.

Was heilig bedeutet, ist unklar. Ist Gott und alles, was mit ihm zu tun hat, also auch sein Name, das nicht sowieso? Wenn nicht – wer soll denn heiligen? Das wäre dann doch wohl Chefsache? Muss er als Weltenlenker wirklich die armseligen Gläubigen hierzu nötigen?
Wahrscheinlich sind solche Fragen wieder zu konkret. Es geht darum, das Hirn mit verbalem Weihrauch zu vernebeln.

Dein Reich komme.

Gottes Reich wurde ja immer wieder mal als kurz bevorstehend angekündigt. Überhaupt sind Endzeitfantasien unter Verwirrten jeder Couleur ein Dauerbrenner. Sehr oft hat das ausgesprochen lebensfeindliche Konsequenzen. Im Extremfall bedeutet das kollektiven Suizid. Der normale Christenmensch begnügt sich damit, sich seine Lebensqualität durch eine idiotische Moral zu versauen zu lassen. Diese Moral ist in wesentlichen Anteilen nicht diesseitig, sondern jenseitig begründet.

Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.

Tja – er geschieht eben nicht, ungeachtet der Bitte in Endlosschleife. Der imaginierte Wille des imaginierten Wesens hat auf die Realität nicht den geringsten Einfluss. Epikur merkte an, dass die Götter sich weder für das Weltgeschehen noch gar für das menschliche Schicksal interessieren. Hierüber können auch die Perversionen des Islamischen Staates nicht hinwegtäuschen. Wenn die eine Bombe hochgehen lassen, geschieht deren Wille und nicht der irgendeines Gottes. Das gilt auch für Ejakulationen christlicher Geistlicher.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Wer, bitte, rodet das Land? Wer säht, wer erntet …?
Welch eine Missachtung menschlicher Leistung!

Und vergib uns unsere Schuld,

Schuld wird hier als selbstverständlich bestehend vorausgesetzt, entsprechend dem widerwärtigen Dogma der Erbsünde. Diese Schuld, diese Sünde feiere ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Kräften und verbitte mir entschieden jeden Versuch der Vergebung!

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Wirklich? Was ist, wenn die Schuldiger Ungläubige sind? Dann doch eher: Tötet sie, wo ihr sie zu fassen bekommt.
Das Zitat ist zwar islamischen Ursprungs, christlich-fundamentalistische Mordfantasien und deren Ausführung gibt es auch heute noch - siehe Nordirland, USA.

Und führe uns nicht in Versuchung,

Mit Versuchung ist nach Luther gemeint, dass wir nach den Ursachen des Wohlergehens und des Unglücks forschen. Ich brauche keinen Gott, der mich in diese Versuchung führt. Ich folge ihr aus eigenem Antrieb – und zwar mit teuflischer Freude – ja, mit Begeisterung!

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Wo das christlich behauptete Gute einer vernunftbegründeten Ethik widerspricht – und das ist so bei einer Reihe von Punkten – bin ich aus Überzeugung böse und verbitte mir wiederum jegliche Art von Erlösung!

Denn dein ist das Reich
und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit.

Welch ein Albtraum!

Amen.

Amen.

Vaterunser

Einer ganz besonderen Interpretation des Vaterunsers habe ich einen Exkurs gewidmet. Sie ist nicht minder beachtlich als das Original.

Nicht alle Gebete sind so abwegig, wie das Lieblings-Mantra der Christen. Der Lieblingsklassiker der Deutschen stürmte und drängte:

prometheus
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Prometheus

Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst!
Und übe, Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn!
Musst mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte,
Die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.

Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn als euch Götter.
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war,
Nicht wusste, wo aus, wo ein,
Kehrte mein verirrtes Aug
Zur Sonne, als wenn drüber wär
Ein Ohr zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir wider
Der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du's nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest, jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden dadroben?

Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?

Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herren und deine?

Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehn,
Weil nicht alle Knabenmorgen-
Blütenträume reiften?

Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen,
Genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich.