Warum dieser Dogmatismus?

Wie ich im Kapitel Software schon erklärte, tut man sich schwer, sein Weltbild zu ändern: Neue Eindrücke werden auf Grundlage der schon gesammelten gewertet. Das erklärt einiges an Beharrungstendenz, nicht aber den absurd anmutenden Starrsinn der Kirchen. Das wäre eine Unterschätzung dieser deutlich eher alten als ehrwürdigen Institutionen – nichts läge mir ferner. Selbstverständlich wissen die Taktiker in der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften schon lange, dass die Erde um die Sonne kreist und nicht anders herum. Was also hat sie so lange zögern lassen, das zuzugeben? Die Kirchenführer sind keineswegs geistig minderbemittelt. Nazis wie der evangelische Landesbischof Martin Sasse scheinen Ausnahmen zu sein, die diese Regel bestätigen. Eine wirklich seltene Ausnahme war Sasse allerdings nicht. Wie auch immer: Man darf hinter dem Dogmatismus getrost Kalkül vermuten.

Macht

Hirnschraube

Schon immer, zumindest so weit Religionsgeschichte überblickbar ist, tun sich Menschen hervor, die von sich behaupten, mit imaginierten weltbewegenden Kräften in besonderer Beziehung zu stehen. Sie nennen sich Schamane, Guru, Medizinmann, Priester, Pharao oder sonst wie. Ihnen allen ist gemein, dass sie die Deutungshoheit hinsichtlich des fantasierten Glaubensgebäudes beanspruchen, sich insofern also als Religionsschöpfer betätigen.

In der Regel gaukeln sie gar vor, diese mysteriösen Mächte beeinflussen zu können. Das geschieht dann beispielsweise in Form eines Regentanzes oder des Abendmahls. In der Anmaßung, das zu tun, schwingen sich diese Menschen zu einem Gott auf: Wer vorgibt, den Weltenlenker beeinflussen zu können, wird selber zu einem.

Es ist offensichtlich, dass Deutungshoheit oder gar Göttlichkeit Macht bedeutet – große Macht. Hierauf werde ich hier noch zurückkommen. Zuvor erlaube ich mir einen Exkurs zum absurden Thema Abendmahl.

Ich hatte den Regentanz als Beispiel für eine angebliche Möglichkeit der Beeinflussung des Schicksals angeführt. Ich muss zugeben, dass ich von diesem Ritual nicht viel mehr weiß, als seinerzeit Karl May. Tanzen zwecks Wetterbeeinflussung mag absurd erscheinen, ist im Verhältnis zum Hirngespinst des Abendmahls aber geradezu rational.

Macht über Glaubensinhalte

Zurück zum Thema Macht: Wer behauptet, die kausalen Zusammenhänge erklären zu können, wer gar vorgibt, den Verursacher aller Begebenheiten beeinflussen zu können, wer also Deutungshoheit respektive Göttlichkeit für sich beansprucht – exklusiv beansprucht, versteht sich! – und wer genug Naive findet, die ihm das glauben, hat enorme Macht. Diese Macht erstreckt sich einerseits auf die Glaubensinhalte. Es kann jeder offensichtliche Unsinn behauptet werden – die Naiven folgen, wenn sie erst auf den Leim gegangen sind. Die Kirchen sind hier nicht nur extrem erfinderisch – das Abendmahl ist nur ein Beispiel unter vielen – sondern auch unverschämt. Sie geben zu, dass ihre Behauptungen absurd sind und meinen, gerade das sei ein Grund zu glauben. Das unter Theologen wohl bekannte Schlagwort hierzu ist: credo quia absurdum est – Ich glaube, weil es unvernünftig ist.

Der Apostel Paulus formuliert:

Apostel Paulus

Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. Es heißt nämlich in der Schrift: Ich lasse die Weisheit der Weisen vergehen und die Klugheit der Klugen verschwinden. Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer in dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt? Denn da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloss Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten. Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen.

1. Korintherbrief 1, 18–25

Es unglaublich, mit welcher Unverfrorenheit diese Opfer des Verstandes eingefordert werden. In der Theologen-Geheimsprache heißt das sacrificium intellectus.

Dass Gott nach Paulus töricht und schwach ist, ist allerdings eine interessante Erkenntnis.

Macht über Gläubige

Glaubensinhalte manipulieren zu können, mag interessant sein. Viel interessanter ist es freilich, über Menschen nach Belieben zu verfügen. Das hat die Kirche schon immer getan. Dabei ging es immer auch darum, die eigene Macht weiter auszubauen. Hierzu reichte es meist, die eigenen Begehrlichkeiten als Gottes Wunsch auszugeben.

deus lo vult

Als ein Beispiel sei der Ausruf Deus lo vult! (Gott will es!) angeführt. Das war der Schlachtruf des ersten Kreuzzuges, zu dem Papst Urban II 1095 aufrief. Urban musste es wissen – schließlich war er ja der Nachfolger des Apostels Petrus und über den sagte der Juniorchef: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen.

Diese Behauptung Deus lo vult! war Begründung für die Ermordung von Hunderttausenden. Das Abschlachten auch von Frauen und Kindern in den Kreuzzügen, während der Inquisition, bei der Missionierung Südamerikas – alles gerechtfertigt, weil machtbesessene Kirchenobere behaupteten, es sei der perverse Wille einer Fantasiegestalt.

Wer diesem vorgeblichen Willen nicht folgt, dem drohen ewige Strafen, spätestens in der Hölle. – Das gilt für die, bei denen das verdiente Höllenfeuer nicht in Form des zu minder schlimm erklärten Scheiterhaufens vorweggenommen wird. Diese Glücklichen verbrennen mit gnädig gewährter geringer Qual und geläutert. (siehe auch: Heldenhafte Opposition im Kapitel Aufklärung)

Freilich: Es gab auch Widerspruch. Es gab Menschen, die sich den Verbrechen der Kirchen entgegenstellten, sogenannte Ketzer, Häretiker oder was der Bezeichnungen noch mehr waren. Nur der Verdacht reichte, um diese Menschen zu vernichten. Das geschah auf unvorstellbar bestialische Weise, denn: Deus lo vult!

Die Religionsgeschichte belegt immer und immer wieder: Die religiöse Motivierung ist ein furchtbar geeignetes Mittel, um den Menschen zu entmenschlichen, um ihn zu einer gewissenlosen Bestie zu machen. Gute Menschen tun Gutes, schlechte Menschen tun Schlechtes. Damit gute Menschen Schlechtes tun, braucht es Religionen. (Christopher Hitchens) – Das wussten die Kirchen schon immer und festigten dort, wo ihre tradierten Fantastereien und bewussten Lügen nicht ausreichten, ihre Macht mit Terror unvorstellbaren Ausmaßes.