Antastbarkeitder Menschenwürde
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
So der erste Satz unseres Grundgesetzes. Das ist formal eine Tatsachenbehauptung – leider eine falsche Tatsachenbehauptung.
Menschenwürde wird täglich nicht nur angetastet
, sondern massiv verletzt. Das beginnt in früher Jugend und geht bis ins hohe Alter, geht vom Mobbing auf dem Schulhof bis zur Abschiebung in das Altersheim. Wer ersteres für übertrieben hält, mag sich vergegenwärtigen, dass Kinder häufig von Mitschülern in Depressionen getrieben werden, was durchaus bis zum Suizid führen kann. Wer letzteres nicht glaubt, mag nur einmal den nächtlichen Hausärztlichen Notdienst begleiten. Ein Lehrbeispiel zur Menschenwürde aus der Lebensmitte ist Prostitution.
Ich nenne hier drei drastische Beispiele. Es fällt leicht, noch viel mehr zu finden. Den genannten Beispielen ist gemein, dass sie keineswegs Ausrutscher
sind, sondern grausige Routine: Es gibt wohl kaum eine Schulklasse, in der nicht zumindest gelegentlich gehänselt wird. Nur Seniorenresidenzen der obersten Spitzenklasse sind rund um die Uhr derartig besetzt, dass weder medikamentöse noch gar mechanische Fesselungen vorkommen. Und was Prostitution angeht: Sie ist das das älteste Gewerbe der Welt
.
Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist also keine Tatsache, sondern wird durch Tatsachen täglich unzählige Male widerlegt. Somit ist dieser erste Satz des ersten Artikels des Grundgesetzes eben kein Fakt, sondern einen Wunsch, einen Vorsatz, eine Utopie, an Fakten zerbrechend.
Mich interessiert vielmehr die Frage, ob diese Verabsolutierung der Menschenwürde sinnvoll ist – und sei es nur als Wunsch, Vorsatz, Utopie. Anthropozentrik, der Mensch als Maß aller Dinge, mehr noch: als Herr aller Dinge, ist eine Idee, die in unserem Kulturkreis eng mit dem Wahn der Gott-Ebenbildlichkeit
verknüpft ist (1. Mos. 1, 26-27).
Eine solche Gleichsetzung betrachte ich als Verletzung meiner Menschenwürde und verbitte mir selbstverständlich die Unterstellung, ich sei ein Ebenbild von Donald Duck, dem Spaghetti-Monster oder sonst einer Fantasie-Figur. Das gilt um so mehr, wenn es sich um einen schrecklichen und kleinkarierten Typen handelt, der seinen Sadismus mit ekelhaften Wetten befriedigt.
Wenn nun die Begründung der Menschenwürde nicht auf Gottesebenbildlichkeit
beruhen kann – worauf soll sie sich dann stützen? Man kann es sich einfach machen und behaupten: Mensch ist nun mal Mensch und Tier ist Tier.
Ähnlich platt argumentierte der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags in seiner Ablehnung der Petition Grundrechte für Menschenaffen, eingereicht unter anderem von dem Philosophen Schmidt-Salomon. Diese sonderten Folgendes ab:
Die Grundrechte (Artikel 1 bis 19 Grundgesetz) sind natürlichen Personen vorbehalten und erstrecken sich nicht auf alle Lebewesen. Auch wenn von einer hohen genetischen Übereinstimmung von großen Menschenaffen und Menschen ausgegangen werden kann, handelt es sich bei diesen Affen um Tiere.
Letzterer Satz ist nicht zu beanstanden: Affen sind in der Tat Tiere. Das gilt auch für jene Säugetiere, Mitglieder der Ordnung der Primaten, der Unterordnung der Trockennasenaffen, der Zwischenordnung der Altwelt- und Schmalaffennasen, der Überfamilie der Menschenartigen und der Familie der Großen Menschenaffen, die sich Homo sapiens nennen.
Die bisherigen Erkenntnisse zusammenfassend ist festzustellen, dass Menschenwürde nichts mit göttlichen Vorgaben zu tun hat und dass sie nicht auf dem Irrtum gründen kann, dass der Mensch kein Tier sei.
Mir scheint, es ist sinnvoll zu fragen:
Würde?
Der Begriff Menschenwürde
suggeriert, dass Würde
etwas sei, was allen Menschen zu eigen ist. Das klingt auch an im oben zitierten 1. Artikel unseres Grundgesetzes. Das wiederum impliziert, dass die Bedeutung dieses Begriffs festliege. Dem ist keineswegs so – noch nicht einmal in unserem Kulturkreis. So hebt Immanuel Kant in seiner Definition auf Vernunft ab. – Die christliche Kirche fantasiert dagegen über Gottesebenbildlichkeit
. Größer kann der Unterschied kaum sein. Hier mag es genügen, drei Auffassungen von Würde zu unterscheiden.
Dieses, nämlich die dem Menschen prinzipiell innewohnende Würde, ist die vorgeblich christliche Auffassung, abgeleitet aus der Imaginierung des Menschen als Gottes-Double. Ganz so ernst nimmt das die Kirche dann doch nicht. Als Beispiel seien hier nur die Kreuzzüge und das Verhalten der Kirche während und nach der Nazi-Herrschaft angeführt.
Auch der leider unrichtige erste Satz unseres Grundgesetzes suggeriert eine solche Immanenz – nicht das einzige Beispiel für die ideologische Nähe unserer Gesetzgebung zur christlichen Religion.
Wer in Amt und Würden
steht, dem wurde das verliehen, also als besonderer Akt eines anderen. Der Verleiher ist menschlich – auch, wenn das Gegenteil behauptet wird (Gottesgnadentum
, Priesterweihe). Diese Würde wird im Gegensatz zum oben genannten Verständnis als Diskriminierung postuliert. Ob sich der so Ausgezeichnete tatsächlich als würdig erweist, ist ein ganz anderes Thema:
Würde kann man sich auch durch sein Verhalten verdienen, etwa, indem man vernünftig handelt (Kant). Diese Auffassung scheint mir die mit Abstand sinnvollste zu sein. Auch dieses Verständnis diskriminiert, unterscheidet also zwischen Menschen hinsichtlich ihrer Würde. So spreche ich einem pädokriminellen Seel-Ent(!)sorger
jede Würde ab – obwohl, nein!, gerade weil er als Ebenbild Gottes in seinem Sinne Verbrechen an Kindern begeht und obwohl mit viel Hokuspokus geweiht wurde.
Es gibt allerdings eine besonders hirnrissige Auffassung von Würde durch Verdienst. Ich meine das im muslimischen Kulturkreis weit verbreitete Verständnis von
Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) stellt in seiner Publikation The Dynamics of Honor Killings in Turkey fest, dass insbesondere in den ländlich geprägten Regionen der Türkei die Ehre und damit der Sinn des Lebens durch die Kontrolle über den Körper der Frau definiert wird. Hier geht es um Themen wie Jungfräulichkeit, sexuelle Abstinenz von Mädchen, eheliche Untreue und Scheidungen, also um deren Zerrbild von angemessenem Verhalten
. Aus dieser Verirrung resultiert eine konsequente Unterdrückung der Frauen die schließlich in Honor Killings
, also in Ehren
-Morden münden kann. Als Quelle für diese monströse Frauenverachtung wird von diesen primitiven Machos regelmäßig der Islam angeführt. – Leider nicht zu Unrecht. Nur ein Beispiel, 4. Sure, Vers 34:
Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie ausgezeichnet hat und wegen der Ausgaben, die sie von ihrem Vermögen gemacht haben. Und die rechtschaffenen Frauen sind demütig ergeben und geben acht auf das, was verborgen ist, weil Gott acht gibt. Und wenn ihr fürchtet[!], dass Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch gehorchen, dann unternehmt nichts gegen sie! Gott ist erhaben und groß.
Der Leser möge sich vergegenwärtigen: Es geht hier darum, Frauen auf Verdacht zu verprügeln! Ich bitte weiter dringend darum, sich nicht täuschen zu lassen: Es handelt sich mitnichten um eine falsche Übersetzung
des Koran. Der zitierte Text ist in jeder seriösen Übersetzung absolut eindeutig in seiner Frauenfeindlichkeit.
Mir fehlt jedes Verständnis dafür, die eigene Ehre vom Verhalten anderer, nämlich der Tochter, Schwester, Frau … abhängig zu machen. Das gilt um so mehr, wenn dieses Fremd-Verhalten erzwungen wird, etwa durch Prügel, Kinderehen oder gar Ehren
-Mord. Ich halte das für das Gegenteil von Ehre, nämlich für Straftaten, die konsequent und schon im Keim zu verfolgen sind.
Wie die Grafik ganz oben schon andeutet, sind die Begriffe Würde
, Ehre
und Wert
verknüpft. Der Common Sense verbietet es, den Wert eines Menschen zu dimensionieren; er wird als unendlich gesetzt. Diese Prämisse mag als wünschenswert erscheinen, ist aber ebenso falsch wie die Behauptung, die Menschenwürde sei unantastbar. Ihren Ursprung hat diese Idee nicht zuletzt auch und wieder einmal im Wahn von der Gottesebenbildlichkeit
. Schon das diskreditiert sie. Da man aber aus Unsinn alles, und damit auch Richtiges schließen kann, sei das Problem weitergehend besprochen.
Es kann nicht ganz verkehrt sein, den Begriff unendlich
von einer Warte zu betrachten, die damit tatsächlich was anfangen kann, nämlich von der Warte der Mathematik. Der Leser möge nicht in Panik verfallen: Ich werde niemanden mit den Feinheiten der Infinitesimal-Rechnung quälen. Ich möchte hier nur auf das Problem der Verhältnismäßigkeit hinweisen: Wenn ich eine unendliche Größe, wie den (vermeintlichen) Wert eines Menschen, mit einer endlichen Größe x
, wie den Wert eines anderen Etwas, ins Verhältnis setze, resultiert:
Wert(Mensch)/Wert(Etwas) = ∞/x = ∞
Wert(Etwas)/Wert(Mensch) = x/∞ = 0
Das bedeutet: Der Mensch ist unendlich mal mehr wert als alles andere, respektive: Alles andere ist im Verhältnis zum Menschen nichts wert. Genau dieser Wahn wird im oben bereits zitierten Schöpfungs-Märchen genährt. Hieraus folgert unser zerstörerischer Umgang mit unserer Umwelt, nicht zuletzt mit den oben zitierten Menschenaffen – alles im Verhältnis zum Menschen nichts wert.
Ein besonderes Problem ergibt sich, wenn mehrere unendlich wertvolle Etwasse
kollidieren. Siehe dazu meine Bemerkungen zum in Fachkreisen berühmt-berüchtigten Trolley-Problem.